Der Dämon, die Zeitmaschine und die Auserwählten (Zehn Namen) (German Edition)
Sie sahen sich, als wären ihre Doppelgänger im Spiegel unter Wasser und würden immer weiter in die Tiefe gezogen werden. Dann war der Augenblick des Erkennens vorbei. Und auch der Lichtstrahl aus dem Nichts erlosch.
„Das hier muss der Ort sein, an den der Heilige Stein von Raum und Zeit all jene Zeit ausstrahlt, die vergangen ist, oder sein wird“, mutmaßte Ben. „So hat es mir der Wächter der Zeit im Zentrum erzählt.“
„Dann haben wir eben so etwas wie einen Zeitstrahl gesehen?“, schloss Lisa daraus. „Zeit, die gewesen ist oder noch sein wird.“
„Ich hatte kurz den Eindruck, uns selbst zu sehen. Unter Wasser. Ertrinkend“, murmelte Charly.
„Ich auch“, pflichtete ihm der Wirt bei. „Aber war das, was wir in dem Zahnrad gesehen haben, unsere Zukunft oder unsere Vergangenheit? Außerdem kann ich nicht schwimmen, Boys.“
„Also ich bin in letzter Zeit eigentlich eher selten ertrunken!“, flachste Nessy. „Dann muss es die Zukunft sein, denke ich.“
„Aber ich will auch in der Zukunft verdammt noch mal nicht ersaufen!“, brummte Yoghi.
„Auf jeden Fall sollten wir hier schnellstens raus, Leute!“, meinte Ben. „Wenn wir nicht schon viel zu lange hier drin waren.“
Sie zwängten sich ins Freie und standen kurz darauf unbeschadet wieder vor dem gigantischen Ziffernblatt. Die Sonne befand sich beinahe senkrecht am Himmel. Sie mussten viel mehr Zeit in diesem ominösen Haus verbracht haben, als sie dachten. Oder war die Zeit dort drinnen irgendwie anders verlaufen?
„Ich glaube, wären wir länger drin geblieben, wäre irgendwas mit uns passiert“, grübelte Ben. “Ich hatte so ein mieses Gefühl da drin.“
Aber es war schon längst etwas passiert. Mit ihnen allen. Die Zeit hatte Besitz von ihnen ergriffen. Nicht die normale laufende Zeit, in der sie sich seit dem Zeitpunkt ihrer jeweiligen Geburt befanden, sondern im Sog der Zeit, die war und die sein wird. Der Jetztzeit entrückt. Durch den Lichtstrahl, dem sie ausgesetzt waren, waren sie selbst zu einem Teil der Zeit geworden, die vorbei war oder irgendwann einmal existieren würde. Ben hatte Recht gehabt, als er mutmaßte, dass der Heilige Stein alle unbenötigte Zeit, die in ihm gespeichert war, hierher strahlte und sozusagen ablud. In diesem Uhrwerk im Inneren des Hauses wurden alle Zeiten immer wieder aufs Neue durch die Zahnräder der Geschichte gedreht, bis sie eines Tages einmal Aktualität sein würden. Quasi aufbereitet. Es handelte sich sozusagen um einen Kornspeicher der Perioden, die darin darauf warteten, wieder oder erstmalig auf der Weltbühne zu erscheinen. Jeden Tag und jede Nacht erreichten das Uhrwerk Strahlen von abgelegten Zeiten des Heiligen Steins. Eigentlich hatten sich viele Zeitgenossen auf allen Welten schon immer gefragt, wo die Zeit blieb, wenn sie vergangen war. Oder wo sie lauerte, bis sie an der Reihe war. Hier hätten sie die Antwort finden können. Doch wehe, einer gelangte zwischen die Zahnräder der Geschichte, wie diejenigen, die von einem der geheimnisvollen Zeitstrahlen getroffen wurden. Sie sahen sich selbst und waren für immer und ewig in den Wellen der Zeit verloren. Doch davon ahnten die Sechs nichts. Noch nicht, denn erst viel später würden sie die Zusammenhänge nachvollziehen können. Doch das würde dann längst Geschichte sein. Oder nicht? Wer versteht schon die unsterbliche Zeit? Dass Bens Uhr übrigens wieder angefangen hatte zu ticken, bemerkte er nicht...
„Lasst uns verschwinden von hier. Weiter Richtung Norden würde ich sagen. Hauptsache weg hier. Ich hatte auch so ein komisches Gefühl, da drin in dem Haus!“, sagte Nessy mit ungewohnt ernster Miene.
„Schade, dass wir keine Kamera dabei haben“, scherzte Charly. „Sonst könnten wir die Bude knipsen und abhaken. So wie's die ollen Japaner mit den europäischen Sehenswürdigkeiten machen.“
„Nur dass mir die dortigen Sehenswürdigkeiten nicht gefährlich vorkommen“, meinte Ben. „Diese hier schon. Auf irgendeine komische Weise.“
„Ja!“, pflichtete auch der Wirt ihnen bei. „Und nicht mal einen Kühlschrank mit leckeren Bier gab's da drinnen. Nur so ein verstaubtes Uhrwerk. Wie öde!“
Aber auch er hatte etwas gespürt, als der Lichtstrahl ihn streifte. Etwas Schlimmes. Schließlich waren sie des Nachdenkens über das Geschehene überdrüssig und packten ihre Rucksäcke, um mit den Katzen weiter durch das hohe Gras zu ziehen. Den fernen Bergen entgegen. Aber daraus wurde nichts. Nicht
Weitere Kostenlose Bücher