Der Dämon, die Zeitmaschine und die Auserwählten (Zehn Namen) (German Edition)
kaum zu erkennen. Üppige Vegetation hatte in all den Jahren, in denen vor lauter Furcht niemand mehr den Weg betreten hatte, den Fußweg überwuchert, so dass er kaum mehr von dem normalen Waldboden zu unterscheiden war. Lediglich die Bäume hatten noch nicht wieder von ihm Besitz ergriffen und die grobe Richtung nach Nordwesten war immer noch zu erkennen.
„Ist es weit?“, fragte Lisa, bevor sie einen Fuß auf den unheimlichen Pfad setzte.
„Nein, Kindchen, nur eine halbe Stunde von hier endet der Pfad, und der schwarze Felsen erwartet uns.“
„Dann lass uns weitergehen, bevor meine Angst zu groß wird und ich mir das Ganze noch mal überlege.“
„Du weißt, dass du jederzeit aufhören kannst?“
„Ja, mein Großvater hat es mir schon gesagt.“
„Er hat Recht. Möchtest du zurück zu ihm?“
In Lisa rebellierten hunderte innere Stimmen und wollten unbedingt Ja rufen, doch sie verzog keine Miene. „Nicht jetzt“, sagte sie. „Später werde ich zu ihm zurückkehren, wenn meine Aufgabe erfüllt ist.“
„Tapferes Mädchen.“
Weitere Worte waren nicht nötig. Und so verließen die beiden den alten Handelspfad und ebneten sich den Weg nach Nordwesten, weg von Lisas Zuhause, weg vom Hexenhaus, weg von der Sicherheit des Hauptweges und auch weg von der Welt, die sie kannten und liebten. Wie die Hexe es vorausgesagt hatte, waren sie nur eine halbe Stunde später am Ende ihres gemeinsamen Weges angelangt und standen nun inmitten des finsteren Waldes vor einem noch dunkleren Felsen von der Größe einer Scheune und warteten auf Mitternacht. Denn dann sollte sich, so wie in jeder Nacht seit ewigen Zeiten, das Tor in eine andere Welt öffnen, und es wäre an der Zeit, dass sich Lisa von ihrer neu gewonnenen Freundin, ihrem bisherigen Leben und von ihrer eigenen Welt verabschiedete. Zumindest für eine sehr lange Zeit. Bald war es soweit. Zu bald, fand Lisa. Doch sie sagte nichts.
Die Beiden hatten vereinbart, dass Lisa nicht zurückschauen sollte, wenn sie das Tor durch den Felsen einmal betreten hatte. Eine letzte kurze Umarmung als Lebewohl hatte reichen müssen, vielleicht wäre Lisa sonst einfach in ihrer eigenen Welt geblieben und heim zu ihrem Großvater gegangen. Doch nun war es definitiv zu spät. Pünktlich um Mitternacht war von einem Augenblick zum nächsten ein Tor in Form eines weit geöffneten Raubtiermauls im Felsen erschienen, noch schwärzer und noch unheimlicher als der Stein selbst oder der Wald rings herum. Unter gewaltigen spitzen Zähnen hindurch hatte das Mädchen das Innere des Felsens betreten und schaute nun wirklich nicht zurück, obwohl alle inneren Stimmen ihm zuriefen, es solle genau das tun, um den Kontakt zur Freundin und der alten Welt nicht zu verlieren. Doch Lisa blieb tapfer und marschierte Meter um Meter weiter in den dunklen Gang hinein, lediglich unterstützt von einer rußenden Fackel, die kaum mehr als die eigenen Füße zeigte, wenn sie den einen vorsichtig vor den anderen setzte. Schnell verlor sie ihr Gefühl für die zurückgelegte Entfernung und die hierfür benötigte Zeit. Sicher war sie sich jedoch, dass der Weg, den sie bereits gegangen war, deutlich länger sein musste, als es die Ausmaße des Felsens überhaupt zuließen. Offensichtlich war der gewaltige schwarze Stein im Inneren noch viel größer als außen, warum auch immer. War das Mädchen vielleicht schon längst in der Nebenwelt angelangt? Zu sehen war auf jeden Fall fast nichts, nur die tanzenden Schatten auf den Felswänden zu seiner Rechten und Linken sowie der schwache Schein der Fackel, die Lisa in ihrer zittrigen Hand hielt. Nach einiger, irgendwie schwer zu fassender Zeit, hatte Lisa auf diese Weise sicherlich einige Kilometer zurückgelegt, bevor sie überraschend auf ein Hindernis stieß und beinahe ins Stolpern geriet. Die Fackel entglitt ihrer Hand und fiel zu Boden. Lisa hatte Glück, und das Feuer erlosch nicht, so dass sie erkennen konnte, was ihr da in die Quere gekommen war: Nämlich die erste Stufe einer schmalen schwarzen Treppe, die in die Höhe führte. Doch der unstete Feuerschein vermochte nicht, das Ende des vor Lisa liegenden Weges zu erhellen. Also nahm sie nach kurzem Zögern die Fackel wieder auf und betrat ziemlich mutig die Treppe in der Hoffnung, sie würde beizeiten zu einem Ziel führen und sich nicht als endlos herausstellen. Doch wollte es zunächst so scheinen, als sei letzteres tatsächlich der Fall, denn nachdem das Mädchen fünfhundert schwarze Stufen
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