Der Dämonen-Gnom
Musiker, sondern sein Publikum dirigierte und beherrschte. Der Beifall verstummte sofort.
Es wurde still, totenstill, und auch an der Beleuchtung änderte sich etwas.
Michaela stand neben mir und schielte bereits in die Höhe. Sie war über jede Sekunde der Nummer informiert. Als die Zuschauerränge in eine graue Dunkelheit zurückfielen, nickte sie und flüsterte mir zu: »Jetzt fängt er an.«
»Womit?«
»Du wirst es sehen.«
Der Gnom hatte noch eine Glatzenperücke über seinen Kopf gestreift, und darauf trug er einen kleinen Zylinder. Den nahm er ab, schleuderte ihn weg, lachte und hielt plötzlich eine Geige in der Hand. »Ich werde euch aufspielen!« rief er ins Publikum. »Ich spiele von Freude, von Liebe, von Trauer und großem Schmerz. Aber ich spiele auch vom Tod und dem großen Sterben…«
»Der letzte Satz ist neu«, flüsterte mir Ela zu. Sie war hektisch geworden, auf ihren schmalen Wangen zeichneten sich rote Flecken ab.
»Es ist so schrecklich neu, aber bisher hat er seine Ankündigungen immer wahrgemacht.«
Ich nahm die Erklärung kommentarlos zur Kenntnis. Alle, wir eingeschlossen, konzentrierten uns auf die Musik, und der teuflische Gnom hatte nicht gelogen.
Er spielte wunderbar.
Er war vergleichbar mit einem Dämon, der sein Instrument perfekt beherrschte, der einmal als Mensch gelebt und auf den Namen Paganini gehört hatte.
Pablo ließ den Bogen über die Saiten tanzen, und er selbst bewegte und tanzte mit, trotz seiner großen Schuhe. Es waren freudige, jubilierende Melodien, folkloristisch angehaucht, und sie zogen die Zuschauer in ihren Bann.
Neben mir nickte Ela. »So spielt er nur in den Vorstellungen am Abend. Bei den Kindern nimmt er sich andere Kompositionen vor.«
Übergangslos wechsele Pablo zu den Stücken, die Trauer und Schmerz transportieren sollten. Da weinte seine Geige, und ich konnte mir vorstellen, daß auch bei den Zuschauern manche Träne floß, obwohl mir persönlich die Melodien fremd waren.
Noch einmal holte er aus. Zumindest wirkte es auf uns so, denn er sorgte durch seine Bewegungen dafür, daß ein Finale angekündigt wurde. Das schmerzhafte Ende dieser Melodienkette, und er beugte sich dabei weit nach unten, bevor er wieder in die Höhe kam und noch im Schwung den Bogen von der Saite trennte.
Er schickte einen Schrei gegen die Kuppel, warf den Kopf zurück und starrte in die Höhe.
Der Schrei verklang. Es wurde still.
Selbst Ela hielt den Mund. Sie konzentrierte sich einzig und allein auf den kleinen Mann in der Manege.
»Jetzt, John!«
Es stimmte. Der Beifall brach über den Clown wie ein Orkan herein. Die Zuschauer waren außer sich. Es gab nur wenige, die es auf ihren Sitzen hielt. Die meisten sprangen auf. Natürlich genoß Pablo den Riesenapplaus. Er saugte den Rausch auf, während er sich auf der Stelle drehte und sich dabei in alle Richtungen verbeugte.
»Was kommt anschließend?« fragte ich Ela.
»Abwarten.«
»Du weißt es nicht?«
Sie hob die Schultern. »Eigentlich würden jetzt seine üblichen Spaße folgen. Er würde sich auf den Kopf schlagen oder auf die Füße treten, aber heute, so denke ich, wird das Programm anders ablaufen.«
»Das denke ich auch.«
»Der Tod«, flüsterte Ela. »Ich habe nichts vergessen. Was meinst du, wie er aussehen wird?«
»Bestimmt nicht als Sensenmann erscheinen«, erwiderte ich sarkastisch und konzentrierte mich auf Pablo.
Allein stand er im Licht, er winkte wieder ab, weil er weitermachen wollte, und es dauerte seine Zeit, bis sich die Zuschauer gesetzt hatten und Ruhe eingetreten war. Laut und deutlich holte Pablo Atem. »Das hat gutgetan, meine Freunde. Sehr gut sogar, ich danke euch.«
Wieder erhielt er Beifall, durch den hin und wieder ein helles Lachen hallte.
»Nun zu meinem letzten Versprechen. Ich habe gesagt, daß zum Leben auch der Tod gehört. Freude und Schmerz habe ich euch klarmachen können, nun aber werde ich versuchen, euch den Tod zu zeigen…«
Betretenes Schweigen folgte. Viele Menschen merkten, daß der Spaß eine Pause eingelegt hatte.
In meiner unmittelbaren Nähe war eine gewisse Unruhe entstanden. Dort unterhielten sich Helfer mit flüsternden Stimmen, und sie klangen so, als wären sie vor den Kopf geschlagen. Auch Ela Santini beteiligte sich an der Unterhaltung, bevor sie wieder zu mir huschte.
»Was ist denn?«
»Keiner versteht es«, flüsterte sie. »Die Kollegen und auch der Direktor haben dafür keinen Sinn. Sie wollen aber nicht eingreifen, es soll zu
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