Der Datendieb - Wie Heinrich Kieber den größten Steuerskandal aller Zeiten auslöste (German Edition)
zu
berücksichtigen, dass der Angeklagte sich selbst dem Gericht gestellt«, er ein
»reumütiges Geständnis« abgelegt, seine Aussage »wesentlich zur
Wahrheitsfindung« beigetragen habe, der Betrug in Barcelona »mit seinem
bisherigen Verhalten in auffallendem Widerspruch« stehe, der dort angerichtete
Schaden wiedergutgemacht sei, er die gestohlenen Originaldokumente »vollständig
und unversehrt« zurückgegeben habe und »dem Landesfürsten entscheidende und
wichtige Hinweise gegeben hat«, um künftige Datendiebstähle verhindern zu
können.
Das Gericht
macht sich die Justizschelte des Fürsten, die dieser im Brief an Kieber
formuliert hat, zu eigen und übernimmt Wort um Wort, Satz um Satz aus dessen
Brief und dem Schreiben des Kriminalpsychologen. »Mit dieser geradezu
beispiellosen Form der Reue und Wiedergutmachung«, so das Fazit des
Obergerichts, »hat der Angeklagte sich eindrücklich von seinen ursprünglichen
kriminellen Tendenzen distanziert.« Ebenso habe Kieber »klar zum Ausdruck
gebracht, dass zwischenzeitlich seine Person ›geläutert‹ wurde und er
entscheidend zur Befriedung des Genötigten beigetragen hat. Dies kommt klar im
Schreiben des Landesfürsten an den Angeklagten zum Ausdruck, ebenso in dem
Schreiben des Kriminalpsychologen Thomas Müller.« Hier muss man einwenden, dass
es die Aufgabe des Gerichts wäre, sich ein eigenes Bild davon zu machen, ob
Kieber tatsächlich »geläutert« wurde, wie dies der Geschädigte und sein Berater
in ihren dem Gericht vorgelegten Briefen behaupten.
Unter
Berücksichtigung der aufgeführten Gründe sei, so das Fürstliche Obergericht,
die außerordentliche Strafmilderung gemäß Strafgesetzbuch zu gewähren und die
verhängte Freiheitsstrafe »auf 1 Jahr herabzusetzen«. Und da der Angeklagte
Kieber »aufgrund der von Kriminalpsychologe Thomas Müller aufgezeigten
›Lösungsansätze‹« das »Unrecht seiner Tat anerkennt«, und »aufgrund der
durchaus günstigen Zukunftsprognose« wird die Strafe »im Namen von Fürst und
Volk« zur Bewährung ausgesetzt.
»Keine Haft!
Keine Haft! Das war es, was ich unter einem fairen Urteil verstand«, jubiliert
Kieber. [163]
In
Liechtensteins Justizapparat fällt die Reaktion ebenfalls emotional aus: Hinter
zuknallenden Türen werden Stühle gegen die Wand getreten. Ein Jahr auf
Bewährung! Die Staatsanwaltschaft überlegt lange, ob sie den Fall vor den
Obersten Gerichtshof ziehen soll, sagt der Leitende Staatsanwalt Robert
Wallner: »Aber es erschien uns aussichtslos. Es war so, dass das relativ milde
Urteil vertretbar war«, eben weil das Gericht so viele außerordentliche
Strafmilderungsgründe fand.
Das ist auch
nicht weiter verwunderlich. Man muss sich nur einmal die Konstellation vor
Augen halten:
Ein Senat des
Fürstlichen Obergerichts besteht aus zwei ausgebildeten Juristen und drei
Laienrichtern. Dominiert wird er vom Vorsitzenden. Die Richter werden seit der
jüngsten Verfassungsreform auf Vorschlag des vom Fürsten beherrschten
Richterauswahlgremiums vom Landtag für die Amtsdauer von vier Jahren gewählt.
Dass der Fürst keine Beißhemmungen gegenüber unliebsamen Richtern kennt, hat er
1997 im Fall von Herbert Wille, dem Vorsitzenden der
Verwaltungsbeschwerdeinstanz, exemplarisch demonstriert.
Im
Gerichtssaal, am Kopfende hinter dem erhöhten Richtertisch, hängt denn auch
mahnend das Porträt des Staatsoberhauptes. Rechts neben den Richtern sitzt die
Anklage. Die Staatsanwaltschaft ist weisungsgebunden gegenüber der Fürstlichen
Regierung. Die Regierung muss sich gemäß Artikel 80 der revidierten Verfassung
stets darum bemühen, dass der Fürst das Vertrauen in die Regierung nicht
verliert, da sonst ihre »Befugnis zur Amtsausübung erlischt«. Links neben dem
Richtertisch ist der Platz des Angeklagten Heinrich Kieber, der den Fürsten
erpresst hat. Erpresser und Erpresster haben sich bereits im Vorfeld des
Verfahrens darauf geeinigt, dass Kieber, so der Fürst, »den Gerichten zugeführt
und danach das Land verlassen wird«. [164]
Heinrich Kieber
steht der Anwalt Wolfgang Müller zur Seite, dessen Honorar von der LGT-Gruppe
bezahlt wird, die vollständig im Besitz der Fürstenfamilie ist. Eine
wesentliche Rolle bei der Urteilsfindung spielt darüber hinaus
Kriminalpsychologe Thomas Müller, dessen schriftliche Stellungnahme als Beweis
aufgenommen und verlesen wird. Honoriert wird der geschätzte Kriminalpsychologe
ebenfalls von der geschädigten LGT – mit rund 5.000 Franken pro Tag.
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