Der Datendieb - Wie Heinrich Kieber den größten Steuerskandal aller Zeiten auslöste (German Edition)
Müller »mir in Ihrem Fall bereits im März dieses
Jahres versicherte, dass Sie einzig und allein aufgrund einer ungünstigen
Konstellation vieler Umstände zu dieser Handlung getrieben wurden und dass für
Sie selbst die Sicherheit der Daten und damit auch die Sicherheit des Landes an
erster Stelle stand«. Und dann holt der Fürst aus zur Justizschelte: Kieber sei
freiwillig zurückgekehrt, habe den Schaden zur Gänze wiedergutgemacht und die
entwendeten Dokumente unversehrt zurückgegeben und sein Wissen zur Verfügung
gestellt, damit man derartige Katastrophen künftig vermeiden könne. Dies sei
»als beispiellose Form der tätigen Reue und Wiedergutmachung zu werten«. Der
Erbprinz und der Fürst hegten deshalb die »begründete Hoffnung«, dass dies »in
Ihrer angestrebten Berufung entsprechend gewürdigt wird«.
Am
24. November, um 10.03 Uhr springt in der Anwaltskanzlei Müller in
Liechtenstein das Faxgerät an. Kriminalpsychologe Thomas Müller gibt aus Wien
»Bezug nehmend auf unsere fernmündliche Absprache« eine Stellungnahme ab. Das Schreiben
ist gedacht als wohlmeinende Beurteilung zugunsten des Schützlings Kieber und
gleichzeitig eine Werbung in eigener Sache, für sein feilgebotenes Produkt
Workplace-Violence-Beratung: »Es hat sich gezeigt, dass in den letzten 18
Monaten ein massives Ansteigen von Workplace-Violence-Fällen beobachtet werden
konnte, wobei eine international angelegte Untersuchung des renommierten
Instituts Price Waterhouse & Cooper [gemeint ist die
Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers] zeigte, dass jedes zweite größere
Unternehmen im deutschsprachigen Raum Opfer geworden ist.« Nach der Werbung
kommt Müller, wenn auch sprachlich umständlich, zum entscheidenden Punkt – zum
Forschungsobjekt Kieber: »Die Informationen, die Heinrich Kieber aus der Sicht
der Vorgehensweise, des Planungsgrades, einer möglichen Verhandlungsstrategie,
der möglichen Motivlage, als auch aus Sicht des Täters angegebenen präventiven
Gedanken stellen einen unschätzbaren Wert für die weitere Bearbeitung und mit
Sicherheit auch der möglichen Prävention von Workplace-Violence-Fällen dar.«
Kiebers
Anwalt Wolfgang Müller legt die Schreiben von Fürst Hans-Adam und
Kriminalpsychologe Müller der Berufungsausführung an das Gericht bei. Die
Justiz arbeitet weiter mit Hochgeschwindigkeit: Am 7. Januar 2004, dem
ersten Arbeitstag nach den Gerichtsferien, verhandelt der zweite Senat des
Obergerichts Kiebers Berufung – wieder unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Im
Verlauf der kurzen Verhandlung werden die beiden Briefe von Fürst und
Kriminalpsychologe vom Gericht vorgelesen. Nachdem das Gericht aus der Beratung
zurückkehrt ist, begründet der Vorsitzende des fünfköpfigen Senats, Rudolf
Fehr, das revidierte Urteil:
Vom
Verbrechen der Drohung gegen den Landesfürsten wird Kieber vom Obergericht
freigesprochen, da der Fürst ohne Mitwirkung von Landtag respektive Regierung
weder das von Kieber verlangte Sondergericht noch den Sonderstaatsanwalt hätte
einsetzen können. Also, so das Gericht, habe Kieber dem Fürsten gar nicht
erfolgreich drohen können. Was das Gericht außer Acht lässt: Der Fürst hat das
verfassungsmäßige Recht, die Regierung zu entlassen, wenn er kein Vertrauen
mehr in sie hat. Dass sein Vertrauen in die Regierung schlagartig erlöschen
würde, wenn die sich nicht seinen Wünschen beugte, davon darf man angesichts
seiner wüsten Drohungen in den vergangenen Jahren ausgehen. Auch kann der
Landesfürst das Parlament aus »wichtigen Gründen« auflösen. Was wichtige Gründe
sind, liegt allein im fürstlichen Ermessen. Das Gericht hält die Schuldsprüche
wegen des Vergehens der versuchten Nötigung und der Urkundenunterdrückung
(gemeint sind die Originaldokumente, die Kieber mitnahm) aufrecht. Vom Vergehen
des Diebstahls wird Kieber hingegen freigesprochen, da »Feststellungen zum
Bereicherungsvorsatz fehlen«.
Das Obergericht
verurteilt Kieber somit nicht mehr wegen drei Vergehen und zwei Verbrechen,
sondern lediglich wegen zwei Vergehen und einem Verbrechen, dem Betrug in
Barcelona. Zu berücksichtigen hat das Gericht bei der Strafbemessung einen
»besonderen Erschwerungsgrund«, nämlich dass bei Kieber »mehrere strafbare
Handlungen« zusammengekommen sind. Allerdings, konstatiert das Gericht, stünden
dem »eine Mehrzahl von besonderen, durchaus gewichtigen Strafmilderungsgründen
gegenüber«. So sei, hält das Gericht weiter fest, »besonders mildernd
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