Der Datendieb - Wie Heinrich Kieber den größten Steuerskandal aller Zeiten auslöste (German Edition)
in Fachkreisen
verwendete Psychopathy Checklist Revised (PCL-R) des berühmten kanadischen Kriminalpsychologen Robert Hare. Der im
Englischen verwendete Begriff psychopathy entspricht dem im
Deutschen verwendeten Wort Dissozialität. »Den Begriff Psychopathie verwenden
wir im deutschen Sprachraum ungern, weil er inzwischen zu einem allgemein
gebräuchlichen Schimpfwort geworden ist«, so Haller: »Wenn Sie die Checkliste
durchlesen, können Sie relativ viel finden, hinter dem Sie bei Kieber einen
Haken setzen können.«
Die
Dissozialitäts-Checkliste von Hare [215] unterscheidet zwei Dimensionen der
Dissozialität: Zur ersten Dimension » ausnützerisch «
werden die Punkte aufgelistet: »trickreich sprachgewandter Blender mit
oberflächlichem Charme, erheblich übersteigertes Selbstwertgefühl,
pathologisches Lügen, betrügerisch-manipulatives Verhalten, Mangel an
Gewissensbissen oder Schuldbewusstsein, oberflächliche Gefühle, Gefühlskälte,
Mangel an Empathie, mangelnde Bereitschaft und Fähigkeit, Verantwortung für
eigenes Handeln zu übernehmen«.
Zur zweiten
Dimension »impulsiv« gehören die Eigenschaften: »Stimulationsbedürfnis,
ständiges Gefühl der Langeweile, ausnützerischer Lebensstil, unzureichende Verhaltenskontrolle, frühere
Verhaltensauffälligkeiten, Fehlen von realistischen, langfristigen Zielen,
Impulsivität, Verantwortungslosigkeit, Jugendkriminalität, Verstoß gegen
Bewährungsauflagen bei bedingter Haftentlassung«.
Es gibt noch
eine andere Sache, die Haller an Heinrich Kieber auffällt: die emotionale
Instabilität, in der Fachsprache Hyperthymie genannt, eine ständige Antriebssteigerung
mit vielen Ideen, mit Unternehmungslust, verbunden mit einer gewissen
Kritiklosigkeit. »Bei ihm ist das ein durchgehender Zustand«, sagt Professor
Haller. Wer daran leide, könne als Geschäftsmann, Politiker oder Sportler
durchaus erfolgreich sein. »Für Verkäufer ist es eine nahezu ideale
Eigenschaft.« Man werde damit nicht notwendigerweise kriminell, im Gegenteil,
es sei für die verschiedensten Arten von Tätigkeiten ein Erfolgsfaktor. Aber
eben auch für Kriminelle.
»Alle großen
Verbrecher sind natürlich auch große Psychologen. Nicht weil sie es gelernt
haben, sondern weil sie einen ausgeprägten Instinkt haben, Menschen und
Situationen zu erfassen, Schwächen zu erkennen, rasch zu reagieren und
vorausschauend zu denken«, resümiert Haller. Es seien große Menschenkenner,
allerdings eben auch extreme Manipulatoren. »Das scheint ein ganz ausgeprägter
Charakterzug von ihm zu sein.«
Und dann ist
da noch der Hochstapler Heinrich Kieber. »Medizinisch bezeichnet man das als
narzisstisch- histrionische Persönlichkeitsstörung,
also hoher Selbstwert bei gleichzeitig großer Verletzlichkeit und
Kränkbarkeit.« Kiebers Selbstliebe und Ich-Bezogenheit machten ihn erfolgreich,
ließen ihn immer größere Coups durchziehen. Und genau das sei die größte Gefahr
für ihn: »Solche Leute gehen in einem narzisstischen Höhenrausch immer größere
Verbrechen an und stürzen letztlich ab.«
Mit dem
Narzissmus geht das Bestreben einher, Macht auszuüben: »Indem er quasi ganz
Liechtenstein in Geiselhaft genommen hat, konnte er extreme Macht ausüben.«
Auch später, als er auf Augenhöhe mit Behörden und Geheimdiensten verschiedener
Staaten verhandelt und vom US-Senat hofiert wird, pumpt sich Kiebers Ego auf,
und er übt weiterhin eine enorme Macht auf Liechtenstein aus. Dass die Medien
monatelang über ihn berichten, tut ein Übriges. »Für einen Narzissten ist nicht
wichtig, ob positiv oder negativ berichtet wird, sondern dass über ihn
berichtet wird.«
Reinhard
Haller fasst zusammen: »Seine Dissozialität, das Ausnützerisch -Manipulative,
Emotional-Instabile, das Narzisstisch- Histrionische in Kombination mit seiner Begabung, sich zu verbalisieren, das macht ihn – ich
will jetzt nicht sagen: zum perfekten Verbrecher, aber es entspricht dem Bild,
das man in der Kriminalpsychiatrie von Persönlichkeiten im Bereich der
›Weißen-Kragen-Kriminalität‹ hat.«
Aber, möchte
man einwenden, Kieber hat ja auch die Fähigkeit zur Reflexion, bereut –
zumindest hin und wieder – seine Taten und bittet Freunde um Verzeihung für das,
was er angerichtet hat. Natürlich, hält Haller Kieber zugute: »Jeder Mensch hat
gute und böse Anteile. Solche Leute sind ja nicht blöd, im Gegenteil, sie sind
hochgradig intelligent. Aber sie zeigen keine tiefgehende Reue.« Das Äußern von
Reue und
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