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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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und
    wenn man jemanden anschwärzen wollte, dann konnte
    man ihn schlechtmachen. Das ist heute anders, heute unter-
    streicht die Word- Rechtschreibprüfung das Wort» schlecht-
    machen« rot, wenn sie es nicht sogar automatisch in seine
    Bestandteile zerlegt. Früher gab es Aufgaben, die einem
    leichtfielen, und Bemerkungen, die leichtfielen, wenn man
    sich in Rage geredet hatte. Heute wird »leicht fallen« immer
    in zwei Wörtern geschrieben, ausnahms- und unterschei-
    dungslos. Menschen, die leicht verletzt waren, waren eben
    besonders empfindlich, aber keineswegs immer gleich Un-
    fallopfer, so wie die, die leichtverletztwaren. Da es heute nur
    noch »leicht verletzt« gibt, fällt auch hier die Unterschei-
    dungsmöglichkeit weg. Am deutlichsten wurde der Unter-
    schied beim Friseur: Wenn der die Haare nur kurzgeschnit-

    ten hatte, mussten sie deshalb noch nicht kurzgeschnitten
    sein. Heute ist die Zusammenschreibung von »kurz« und
    »geschnitten« nicht mehr erlaubt.
    Die alte Regel richtete sich nach Betonung und Bedeutung
    der Wörter. Die neue Regel richtet sich nach Merkmalen, die
    längst nicht immer auf den ersten Blick erkennbar sind. Sie
    sieht Getrenntschreibung vor, wenn der erste Bestandteil ein
    Adjektiv ist, das gesteigert oder erweitert werden kann.
    Zusammenschreibung ist nur noch in den Fällen erlaubt, in
    denen das Adjektiv »absolut« ist. Eine ehemals organische
    Regel, die jedermann intuitiv beherrschen konnte, wurde
    durch eine abstrakte Regel ersetzt. Bevor man zwei Wörter
    zusammenschreibt, muss man sich Klarheit darüber ver-
    schaffen, ob sich das erste nicht vielleicht steigern oder erwei-
    tern lässt. Hat das die deutsche Rechtschreibung wirklich
    vereinfacht, so wie es die Reformer versprochen hatten?
    Es wäre sicherlich interessant, sich hierüber mal mit einem
    Schüler zu unterhalten, der mit der neuen Orthografie
    großgeworden − Pardon: groß geworden ist. Vielleicht ist das
    alles für ihn ganz schlüssig. Wer seinen Schulabschluss noch
    nach den alten Regeln gemacht hat, für den ist das neue
    Prinzip der Getrennt- und Zusammenschreibung nur
    schwer verständlich. Es führte nämlich zu einer ganzen Reihe
    von Änderungen, die bis dato Gültiges teilweise ins Ge-
    genteil verkehrten:
    Früher wurde am Satzanfang groß geschrieben, während
    Tugenden großgeschrieben wurden. Heute ist es genau um-
    gekehrt: Am Satzanfang wird großgeschrieben, Tugenden
    werden großgeschrieben.
    Denn die Großschreibung am Satzanfang ist ein Absolu-
    tum, da kann man nicht mal größer, mal kleiner schreiben,
    sondern eben nur groß. Die Tugenden indes können zum
    Beispiel besonders groß geschrieben werden, »groß« ist also
    erweiterbar, und daher gilt hier Getrenntschreibung.

    Wer gestern noch hochqualifiziert war, ist heute bestenfalls
    noch hoch qualifiziert, denn auch hier lässt sich das Adjektiv
    erweitern (»besonders hoch qualifiziert«) oder steigern,
    sprich: Es könnte durchaus jemanden geben, der noch höher
    qualifiziert ist. Eine hochschwangere Frau ist hingegen nicht
    hoch schwanger; denn man unterscheidet normalerweise
    nicht zwischen höher und weniger höher schwangeren
    Frauen; »hoch« ist hier absolut gemeint, daher bleibt es bei
    der Zusammenschreibung.
    Das mag man vielleicht noch alles einsehen, doch die neue
    Regel hat einen weiteren Nachteil: Die Antwort auf die Fra-
    ge, wann ein Adjektiv gesteigert oder erweitert werden kann
    und wann es etwas Absolutes darstellt, liegt nicht immer auf
    der Hand, oftmals ist es Ansichtssache. So findet man in den
    einschlägigen Nachschlagewerken denn auch immer wieder
    den Hinweis: »In Zweifelsfällen ist sowohl Getrennt- als
    auch Zusammenschreibung möglich.«
    Und Zweifelsfälle gibt es zuhauf: Früher war ein Star wohl-
    bekannt, heute muss er sich fragen, ob er wohl bekannt ist.
    Da »wohl« außer »sehr« auch die Bedeutung »vermutlich«,
    »möglicherweise« hat, hat die Reform hier den Boden für
    unzählige peinliche Situationen bereitet. Am Ende stellt sich
    noch heraus, dass die Reform gar nicht wohldurchdacht war,
    sondern zwar wohl durchdacht, aber nicht genug.
    Eingangs wurde festgestellt, dass man »schlechtmachen«
    heute nicht mehr in einem Wort schreiben kann. Die Unter-
    scheidung zwischen dem konkreten »etwas schlecht ma-
    chen« und dem übertragenen »jemanden schlechtmachen«
    fällt einfach weg. Bei »gutmachen« hingegen ist sie geblie-
    ben. Man kann seine Sache gut machen und einen

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