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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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Fehler
    gutmachen.
    Wände, die einst vollgeschmiert waren, sind den neuen
    Regeln entsprechend voll geschmiert. Durch die zwangs-
    verordnete Auseinanderschreibung lesen sich alle ehemali-

    gen Zusammensetzungen mit »voll« heute so, als habe »voll«
    die Funktion des verstärkenden Jargonwortes: voll gepumpt,
    voll gestopft, voll besetzt, voll bescheuert...
    Apropos bescheuert: Warum schreibt man nach der Recht-
    schreibreform »lahm legen« in zwei Wörtern, »stilllegen«
    aber nach wie vor in einem (dafür aber jetzt mit drei l)? Der
    Verkehr wird in zwei Wörtern lahm gelegt, die Fabrik wird
    in einem stillgelegt. Wie lässt sich das begründen?
    Der Steigerungs- und Erweiterungsmerksatz greift hier
    nicht. Zwar ist »lahm« ein Adjektiv, das theoretisch gestei-
    gert werden kann (»Heute arbeitet sie noch lahmer als ges-
    tern«), doch wer würde von einem noch lahmer gelegten
    Verkehr sprechen? Freilich kann »lahm« durch Wörter wie
    »völlig« und »total« erweitert werden. Aber das gilt genauso
    für die stillgelegte Fabrik, die lässt sich zum Beispiel kom-
    plett stilllegen, aber eben nicht komplett still legen.
    Ob solcher Unstimmigkeiten mag mancher das Gefühl
    haben, sein Verstand sei vorübergehend lahmgelegt [Ach-
    tung: alte Rechtschreibung!], und sich wünschen, die Recht-
    schreibreform würde doch noch still (und heimlich zu den
    Akten) gelegt.
    Die deutsche Schriftsprache zeichnet sich von jeher durch
    eine starke Tendenz zur Zusammenschreibung aus. Wort-
    gruppen, die als Einheit empfunden werden, werden früher
    oder später auch in einem Wort geschrieben. Die Recht-
    schreibreform greift hier in natürlich gewachsene Strukturen
    ein und reißt wieder auseinander, was lange harmonisch
    verbunden war. Was wohl der selige Willy Brandt (»Jetzt
    wächst zusammen, was zusammengehört«) dazu sagen
    würde?

    Die gute Nachricht zu Schluss: Die Rechtschreibkommis-
    sion hatte ein Einsehen und hat die umstrittene Neurege-
    lung der Getrenntschreibung von zusammengesetzten Ver-
    ben teilweise wieder zurückgenommen. Genauer gesagt:
    Neben der neuen Schreibweise ist auch die alte wieder er-
    laubt. In der 23. Auflage des Dudens findet man außer »kurz
    geschnittenen Haaren«auch wieder»kurzgeschnittene Haa-
    re«, und zusätzlich zur »selbst gemachten Konfitüre« ist
    auch »selbstgemachte Konfitüre« wieder zu haben. Dies gilt
    aber nicht für alle in dieser Geschichte beschriebenen Bei-
    spiele. Schieflaufen, schlecht machen und lahm legen müssen
    weiterhin in zwei Wörtern geschrieben werden. Ob es
    sinnvoll ist, für einige Verben zwei unterschiedliche Schreib-
    weisen zuzulassen, muss dahingestellt bleiben. Die Reform
    der Rechtschreibreform ist noch nicht abgeschlossen. Und
    der Widerstand gegen die Ungereimtheiten der neuen Re-
    geln zur Getrennt- und Zusammenschreibung wird weiter
    bestehen, um nicht zu sagen: weiterbestehen.

    Alptraum oder Albtraum?
    Frage eines Lesers: Wie wird das Wort Alptraum geschrie-
    ben? In den Zeitungen sieht man es mal mit»p«und mal mit
    »b«! Durch die Rechtschreibreform wurde die Schreibweise
    geändert, aber ich weiß nicht, welches die alte und welches
    die neue ist oder ob beides erlaubt ist.
    Antwort des Zwiebelfischs: Dieses Wort bereitet unzähligen
    Lehrern, Schülern, Redakteuren, Setzern und Korrekturlesern
    nicht nur Alpdrücken, sondern auch noch Albdrücken.
    Tatsächlich sind seit Verabschiedung der Rechtschreibreform
    beide Schreibweisen zulässig. Bis dahin, also bis zum i.
    August 1998, durfte das Wort nur mit »p« geschrieben
    werden. Das erschien vielen aber nicht logisch, es wurde
    immer wieder argumentiert, dass der Nachtmahr doch nichts
    mit den Alpen zu tun habe, sondern mit Alben. Womit
    natürlich nicht Schallplatten oder Fotoalben gemeint waren,
    sondern die germanischen Geister, die Alben (auch Eiben,
    heute: Elfen), die ursprünglich als Naturgeister der Unterwelt
    oder als Zwerge angesehen wurden, später von der Kirche als
    Dämonen und Gehilfen des Teufels stigmatisiert wurden, die
    sich den Menschen im Schlaf auf die Brust setzen und damit
    den sogenannten Alpdruck verursachten. Wie der Traum
    darf auch der Druck nun sowohl mit »p« als auch mit »b«
    geschrieben werden.
    Das Wort Alb oder Alp wurde später verdrängt von den
    Begriffen Elf und Elfe, die zunächst auch noch als bösartig
    galten und erst im 18. Jahrhundert und in der Romantik zu
    anmutigen, lieblichen Zauberwesen verklärt wurden.

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