Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
Vom Netzwerk:
1905 geboren war,
    der war »Jahrgang 05«, aber er bezeichnete sich nicht als »in
    den Nullern geboren«. Erst das dritte Jahrzehnt hat einen
    Namen bekommen, der dann − im Nachhinein − sogar ver-
    goldet wurde: die (Goldenen) Zwanziger. Von da an ging es
    in Zehnerschritten weiter. Im Nachhinein wurden die Jahre
    von 1901 bis 1918 der Wilhelminischen Ära zugeschlagen,
    welche bekanntlich mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg
    endete. Da dieser Krieg einen viel größeren Einschnitt mar-

    kierte als der Wechsel von einem Jahrzehnt zum anderen,
    stellte sich die Frage nach einer numerischen Benennung der
    ersten beiden Jahrzehnte später nicht mehr.
    Ob dies in unserem Fall einmal genauso sein wird? Dar-
    über wird die Geschichte entscheiden. Allerdings: Das erste
    Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist schon zur Hälfte abge-
    laufen. Noch retten sich die Radiosender mit der Formulie-
    rung »Die Megahits der Achtziger, der Neunziger und das
    Beste von heute!« Und das Fernsehen hat nach den Siebzi-
    ger-, den Achtziger- und den Neunziger-Kultshows erst mal
    eine Pause eingelegt. Irgendwann aber werden wir das Jahr
    2011 schreiben, und irgendeinem Fernsehintendanten wird
    einfallen, dass das zurückliegende Jahrzehnt eine eigene
    Retrospektive verdient. Spätestens dann braucht das Kind
    einen Namen. Vielleicht wird er sie »die Zweitausender-
    Show« nennen − oder »Die Kulthits des Jahrtausends«. In
    diesem Zusammenhang fällt mir auf, dass das Wort »Mil-
    lennium«, das einem 1999 mindestens fünfmal täglich in die
    Augen sprang, heute überhaupt nicht mehr verwendet wird.
    Der beste Beweis dafür, dass nur das überlebt, was wirklich
    gebraucht wird. Und vielleicht brauchen wir tatsächlich auch
    keine Bezeichnung für dieses erste Jahrzehnt. Womöglich
    werden die Deutschen auch in diesem Jahrhundert erst
    wieder ab der dritten Dekade anfangen, Zahlen zu vergeben.
    Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass sich 20 Jahre
    gerade noch überblicken lassen. Das entspricht einer Ge-
    neration. Erst darüber hinaus wird’s dann langsam unüber-
    sichtlich, sodass man auf Zahlwörter zur Unterteilung und
    Abgrenzung zurückgreift.
    Was für das Jahrhundert gilt, scheint auch für die Lebens-
    alter des Menschen zu gelten. Man kennt Männer in den
    Fünfzigern, Frauen in den Vierzigern, man spricht von Mitt-
    dreißigern und Endzwanzigern − aber darunter wird es
    schwierig. Da muss man sich schon mit englischen oder

    pseudo-englischen Begriffen wie Teenager und Twen behel-
    fen. Für das erste Lebensjahrzehnt eines Menschen aber hilft
    uns auch das Englische nicht weiter. Was wohl damit zu-
    sammenhängt, dass die Unterschiede zwischen einem ein-
    jährigen, einem sechsjährigen und einem zehnjährigen Kind
    einfach zu groß und somit diese Altersklassen für eine Zu-
    sammenfassung nicht geeignet sind. Stattdessen spricht
    man von Kindheit und Jugend, von Kindern im Vorschulal-
    ter und von solchen im schulpflichtigen Alter, von der Zeit
    vor der Pubertät, während der Pubertät und nach der Puber-
    tat.
    Ich wollte es natürlich genau wissen und habe die Leser mei-
    ner Internet-Kolumne gefragt, wie sie die erste Dekade dieses
    Jahrhunderts nennen würden. Ich erhielt Dutzende von
    Zuschriften, die an Einfallsreichtum und Originalität nichts
    vermissen ließen: Nuller, Nullinge, Postneunziger, Neutau-
    sender, Vorzehner, Nachneunziger, Hunderter, Primdeka,
    Dekade eins, Zeroden, Millies, Pomilde (für »Post-Millenni-
    ums-Dekade«), Edeka und Zwedeka (für Erste und Zweite
    Dekade) und viele Vorschläge mehr.
    Bezeichnenderweise gibt es auch in anderen Sprachen kei-
    nen Begriff für das erste Jahrzehnt. Wir stehen mit dem Pro-
    blem also nicht allein da. Die englische Umgangssprache, für
    ihren Erfindungsreichtum bekannt, hat den Ausdruck »the
    naughties« (auch: noughties) geprägt. Ein Zusammenspiel
    aus den Wörtern »nought«, »naught« (= nichts, Null) und
    »naughty« (= ungezogen, unanständig), das sinngemäß also
    »die Nuller« und zugleich »die unartigen Jahre« bedeutet.
    Angesichts unserer Empfänglichkeit für englische Mo-
    dewörter haben die »Naughties« möglicherweise auch im
    Deutschen eine Chance. Vielleicht aber findet sich irgend-
    wann doch noch ein passendes deutsches Wort.
    Ein Radiosender hat sich in weiser Voraussicht den Begriff
    »Nullziger« schützen lassen. In der entsprechenden Titel-

    schutzerklärung eines Hamburger Anwalts heißt es: »Unter
    Hinweis

Weitere Kostenlose Bücher