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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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und
    kleinschreibung nimmt.
    So wie man menschenfreundlich und kinderfreundlich sein
    kann, kann man auch amerikafreundlich sein. Der eine ist
    weinselig, der andere stresserprobt, und wer längere Zeit in
    Ungarn gelebt und viel über Ungarn erfahren hat, der ist
    ungarnerfahren. Was für Frankreich typisch ist, das ist
    frankreichtypisch − wenn es nicht typisch französisch ist.
    Und wer beim Verlassen Berlins Entzugserscheinungen ver-
    spürt, der ist höchstwahrscheinlich berlinsüchtig.
    »Und was ist, wenn jemand gleichzeitig Amerika und Eu-
    ropa gegenüber freundlich gesinnt ist?«, fragt die Redakteu-
    rin weiter. »Ist er dann ›Amerika, klein, mit Bindestrich/neu-
    es Wort: und/neues Wort: Europa, klein, plus freundlich, ohne
    Leerzeichen‹« Ich setze die Diktiervorgaben vor meinem
    geistigen Auge in Schrift um und sage mit einem Nicken:
    »Ganz genau, dann ist er amerika- und europafreundlich.«
    Die Scheu vor der Zusammenschreibung hat die deutsch-
    sprachige Presse fest im Griff. Wie oft liest man: »Wie aus
    Unions-nahen Kreisen verlautete ...« So unflexibel ist die
    Union nicht, dass sie nicht eine Koalition mit einem Adjektiv
    eingehen könnte: unionsnahe Kreise − voilá! Weitere Bei-
    spiele der gleichen Bauart:
    • MTX ist ein Virus, das sich Wurm-ähnlich verbreitet und
    versucht, auf der Festplatte ein trojanisches Pferd abzulegen.
    • Der Van ist nicht Oberklassen-kompatibel.
    • Obelisken sind steinerne Säulen mit Pyramiden-förmiger
    Spitze, die zur Ehrung des Sonnengottes Ra aufgestellt wur-
    den.
    Zwar sind Computerviren fiese Dinger, und ein Ausschluss
    aus der Oberklasse ist ein harter Schlag. Dennoch sind die
    Wörter wurmähnlich und oberklassenkompatibel genau wie

    pyramidenförmig nichts anderes als kleine, niedliche und
    völlig harmlose Adjektive. Ihr Anblick ist weder abschre-
    ckend noch » Gewöhnungs-bedürftig«. Sie tun nichts, sie bei-
    ßen nicht, man kann sie anfassen und streicheln. Man muss
    sich nur trauen. Sie derart auseinander gerissen zu sehen ist
    für geübte Leser eher befremdlich. Genauso befremdlich wie
    »Gewitter-artige Schwüle« oder »Betriebs-bedingte Kündi-
    gung«. Im ungünstigsten Fall kann der Bindestrich sogar zu
    höchst bedauerlichen Missverständnissen führen. Bei Zu-
    sammensetzungen, die aus zwei gleichrangigen Adjektiven
    bestehen, hat der Bindestrich nämlich eine andere Funktion,
    als nur der Lesbarkeit zu dienen: Er ersetzt ein»und«. Beispie-
    le: ein blassgrün-dunkelbraunes Hemd ist sowohl blassgrün
    als auch dunkelbraun; ein deutsch-französisches Unterneh-
    men ist deutsch und französisch; ein rötlich-rundlicher Stein
    ist einerseits rötlich und andererseits rundlich. Was wäre
    demnach ein Mann, der als »türkisch-stämmig« beschrieben
    wird? Manchmal wirkt das Auseinanderschreiben nicht nur
    grafisch, sondern auch inhaltlich entstellend.
    Eine mögliche Ursache für die häufig auftretende Ge-
    trenntschreibung zusammengesetzter Eigenschaftswörter liegt
    in der Rechtschreibprüfung von Microsoft, die bei den
    meisten in »Word« geschriebenen Texten zur Anwendung
    kommt. Sie unterstreicht alle Wörter, die das Programm
    nicht kennt, mit einer gezackten roten Linie. Die neueste
    Version dieser Rechtschreibprüfung ist zwar schon deutlich
    besser als ihre Vorgängerinnen, aber noch immer gibt es eine
    Vielzahl von Wortzusammensetzungen, die das Programm
    nicht kennt. Das ist auch gar nicht verwunderlich, denn
    theoretisch sind in der deutschen Sprache unendlich viele
    Wortzusammensetzungen möglich. Das zeichnet unsere
    Sprache ja gerade aus und macht sie so unermesslich reich.
    Von diesem Reichtum scheinen allerdings viele ihrer »An-
    wender« gar nichts zu wissen.

    Über die Nachricht»Peking erklärt Chinas Schweine für Vo-
    gelgrippe-frei« haben sich die Fleischfresser in aller Welt be-
    stimmt sehr gefreut. Sie hätten es aber genauso getan, wenn
    dort »vogelgrippefrei« gestanden hätte, in Analogie zu toll-
    wutfrei, alkoholfrei, rauchfrei, autofrei und eisfrei. Zugän-
    ge, die den Bedürfnissen von Behinderten gerecht werden,
    dürfen getrost als »behindertengerecht« bezeichnet wer-
    den. Das Prädikat »Behinderten-gerecht« sieht die deutsche
    Grammatik jedenfalls nicht vor.
    Und damit nicht genug: Selbst Eigennamen können zu
    Adjektiven verbaut werden und kommen dann in den unge-
    wohnten Genuss der Kleinschreibung. Im Duden findet man
    zum Beispiel unter dem Buchstaben »G« das

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