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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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doch mal sehen, wie es tatsächlich um die

    Verbreitung dieses absonderlichen Partizips steht. Und tat-
    sächlich: 66 000 Fundstellen! Da konnte es wenig trösten,
    dass über der Trefferliste die automatisch erstellte Korrek-
    turanfrage erschien: »Meinten Sie ›geschaltet‹?«
    Wenn Fernsehkonsumenten sich plötzlich fragen, ob ir-
    gendjemand »das Programm umgeschalten hat«, und wenn
    immer neue Parks und Einkaufszentren von namhaften Ar-
    chitekten »gestalten« werden, so liegt dies möglicherweise
    an der Ähnlichkeit der Verben »schalten« und »gestalten«
    mit dem Verb »halten«. Letzteres wird im Perfekt bekannt-
    lich zu »hat gehalten« und nicht zu »hat gehaltet«. Aber bei
    »halten«handelt es sich um ein unregelmäßiges Verb, das im
    Präteritum seinen Hauptklang verändert: Aus »halt« wird
    »hielt«. Schalten hingegen ist ein regelmäßiges Verb, das sei-
    nen Hauptklang behält. Und weil es im Präteritum nicht zu
    »schielt« wird, wird es im Perfekt auch nicht zu»geschalten«,
    sondern zu »geschaltet«. Eigentlich ganz einfach.
    Im buchstäblichen Sinne gespalten sind die Meinungen
    über die korrekte Bildung des Perfektpartizips von»spalten«.
    Obwohl es sich − auf den ersten Blick − um ein regelmäßiges
    Verb zu handeln scheint (ich spalte, ich spaltete, nicht etwa:
    ich spielt oder gar ich spolt), existiert die Perfektform »ge-
    spalten«. »Gespaltet« gibt es gleichwohl, doch das ist inzwi-
    schen viel seltener zu hören: »Ich habe das Holz gespaltet«;
    »Die einen hatten sich von den anderen abgespaltet.« Gerade
    als Adjektiv verwendet man fast ausschließlich die Form
    »gespalten«: »Wir haben ein gespaltenes Verhältnis«; »Der
    weiße Mann spricht mit gespaltener Zunge.« Offenbar gibt
    es nicht nur regelmäßige und unregelmäßige Verben, son-
    dern auch noch regelmäßig-unregelmäßige Verben. Nun ja,
    warum auch nicht: Sprache ist wie Botanik. Es gibt wunder-
    schöne Blüten und jede Menge Unkraut. Und ab und zu
    zwittert es halt im deutschen Verbenwald.
    Meine Recherchen ergaben, dass die ungewöhnlichen

    Formen »ausgeschalten« und» eingeschalten« für bestimmte
    Regionen durchaus typisch sind. Weite Teile des deutsch-
    sprachigen Südens gehören dazu, über Österreich bis Süd-
    tirol. Die freundliche Dame in dem Südtiroler Hotel hatte
    demnach keinen grammatischen Blackout, so wie man es von
    Viva-Moderatoren gewohnt ist, sondern benutzte ein regio-
    naltypisches Partizip.
    In einigen Gegenden soll man angeblich auch statt »Wir
    haben gebadet« sagen können: »Wir haben gebaden.«Im Ba-
    dischen zum Beispiel. Nun, das ist ja auch nicht verwunder-
    lich. Wer aus Baden-Baden kommt, dem kommt das »geba-
    den« ganz automatisch über die Lippen. Wollte man ihn
    korrigieren, könnte er womöglich erwidern: »Wieso? Ich
    wohn doch schließlich net in Badet-Badet!«
    Und im Aachener Dom werden die Hände zum Gebet nicht
    nur gefaltet, sondern auch »gefalten«. Auch in Sachsen sind
    Formen wie »gemalen« und »gebaden« bekannt. Ich müsste
    mal meine Freundin Moni fragen. Die wohnt in Chemnitz
    und spricht Sächsisch erster Güte. Moni würde vermutlich
    sagen: »Mir ham gebaden.«
    Bei Moni lasse ich das selbstverständlich durchgehen, denn
    Sächsisch ist nun mal Sächsisch, und das ist nicht ganz
    dasselbe wie Hochdeutsch. Man findet die Form »gebaden«
    aber auch in hochdeutschen Zusammenhängen, in Internet-
    foren zum Beispiel. Da fragt ein gewisser Michael, ob Meer-
    schweinchen eigentlich schwimmen können, und eine Me-
    lanie antwortet ihm: »Nein, Meerschweinchen dürfen nicht
    gebaden werden, die können sich eine Lungenentzündung
    holen und eine Erkältung!«
    Die Perfektform »gebaden« würde freilich voraussetzen,
    dass »baden« zur Gruppe der sogenannten starken, besser
    gesagt: unregelmäßigen Verben zählt. So wie »laden«, das im
    Präteritum zu »lud« wurde und dann im Perfekt zu »gela-
    den«. Aber »baden« wird im Präteritum nicht zu »bud«, son-

    dern zu »badete«, wird also ganz regelmäßig gebildet − und
    muss im Perfekt daher auch »gebadet« heißen. Melanies Ant-
    wort war also grammatisch nicht ganz einwandfrei, trotzdem
    sei ihr von Herzen gedankt, denn vermutlich hat sie damit
    mehreren Meerschweinchen das Leben gerettet.
    Sehr ans Herz zu legen ist in diesem Zusammenhang die
    Internetseite der »Gesellschaft zur Stärkung der Verben«,
    auf der sich eine drollige Liste mit (wohlgemerkt!)

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