Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2
wird auch unter-
schiedlich ausgesprochen. In Deutschland wird es allgemein
mit einem weichen »w« gesprochen und bekommt in Zu-
sammensetzungen ein Fugen-s: Adventszeit ist die Zeit des
Advents, hier lässt sich das Fugen-s also mit dem Genitiv
rechtfertigen.
In Österreich wird der Advent vielerorts mit »f« ge-
sprochen und erhält in Zusammensetzungen kein Fugen-s:
Adventzeit, Adventkalender. Dass Sie die Formen ohne Fu-
genzeichen schöner finden, ist ganz natürlich, denn man
empfindet immer das als schöner, was einem vertraut ist. In
Österreich ist »Adventzeit« richtig, in Deutschland »Ad-
ventszeit«. Wie so oft gilt mehr als eine Möglichkeit. Beson-
ders große Liebhaber des Fugenzeichens sprechen übrigens
auch gerne vom»Adsventskranz«, denn das zischt so schön.
Diese Form wird aber − wohlgemerkt − nur scherzhaft ge-
braucht.
Wie die Sprache am Rhein am Verlaufen ist
Es gibt in der deutschen Sprache so manches, was es offiziell gar
nicht gibt. Die sogenannte rheinische Verlaufsform zum Beispiel.
Die hat weniger mit dem Verlauf des Rheins zu tun, dafür umso
mehr mit Grammatik. Vater ist Fußball am Gucken, Mutter ist die
Stube am Saugen. Und der Papst war wochenlang im Sterben am
Liegen.
Meine Freundin Holly ist Amerikanerin, genauer gesagt
Kalifornierin. Obwohl sie ein sehr aufgeschlossener und
wissbegieriger Mensch ist und seit nunmehr fünf Jahren
in Deutschland lebt, hat sie mit der deutschen Sprache
noch immer ihre liebe Not. »Deutsch ist so...complicated«,
schimpft sie, »andauernd hat man es mit Ausnahmen zu
tun.« −»Ich glaube nicht, dass es irgendeine Sprache gibt, die
ohne Ausnahmen auskommt«, erwidere ich, »dafür sind die
meisten Sprachen einfach zu alt und haben schon zu viele
Entwicklungen durchgemacht.« −»Es ist aber eine Tatsache,
dass die deutsche Sprache nicht wirklich praktisch ist«, sagt
Holly,»eure Wörter sind so furchtbar lang, mit all den vielen
Endungen, die Sätze hören gar nicht mehr auf, der Satzbau
ist confusing, mal steht das Subjekt vorne, mal das Objekt,
wer soll sich da zurechtfinden? Mark Twain hielt die deut-
sche Sprache für besonders unordentlich und systemlos. Er
hatte Recht!«- »Es klappt doch aber schon ganz gut bei dir«,
versuche ich sie zu beschwichtigen. Da fällt Holly noch et-
was anderes ein: »Und weißt du, was dem Deutschen au-
ßerdem fehlt? Es hat keine continuous form!«. − »Keine
was?«, frage ich.» Continuous form − l’m reading a book,
you are watching TV und so weiter.« − »Ach so, du meinst
die Verlaufsform«, sage ich. »Genau«, sagt Holly, »die ist
ungeheuer praktisch! Es ist doch ein Unterschied, ob ich sage
›I am eating fish‹ oder ›I eat fish‹. Das Erste bedeutet, dass
ich gerade jetzt einen Fisch verspeise; das Zweite bedeutet
dagegen, dass ich grundsätzlich Fisch esse, aber das kann ich
auch sagen, während ich gerade eine Mousse au Chocolat
esse. Wenn man im Deutschen ausdrücken will, dass sich
eine Handlung auf einen bestimmten Zeitraum bezieht, dann
muss man einen Satz bilden wie »Ich bin gerade dabei, das
und das zu tun.« Das ist doch total umständlich! Sogar im
Japanischen gibt es eine Verlaufsform, warum nicht im
Deutschen?«
An dieser Stelle muss ich Widerspruch einlegen: »Dass es
im Deutschen keine Verlaufsform gibt, ist nicht richtig.«
Holly blickt mich erstaunt an: »Tatsächlich? Wie sieht die
denn aus?« − »Nun, das kommt darauf an, es gibt nämlich
mehrere Möglichkeiten, die Verlaufsform zu bilden. In der
Standardsprache wird dabei nach folgendem Rezept verfah-
ren: Man nehme eine Form von ›sein‹, dazu die Präposition
›beim‹ und den substantivierten Infinitiv, fertig ist die Ver-
laufsform. ›Ich bin beim Einkaufen‹, ›Mutter ist beim Ge-
schirrspülen‹, ›Lars ist beim Arbeiten‹ und ›Alle sind beim
Essen‹, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Schöner, aber
seltener ist die mit ›im‹ gebildete Verlaufsform: ›Bärte sind
wieder im Kommen‹, ›Ich war schon im Gehen, da rief er
mich noch einmal zurück.‹« − »Ach, das ist die deutsche con-
tinuous form? Dann wird ›I’m thinking about you‹ auf
Deutsch zu ›Ich bin beim Denken an dich‹?« − »Nein, die
Verlaufsform bietet sich nicht für alle Verben an. Jedenfalls
nicht in der standardsprachlichen Ausführung. Es gibt dane-
ben aber noch eine umgangssprachliche, die sehr viel flexi-
bler ist. Sie wird
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