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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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wird auch unter-
    schiedlich ausgesprochen. In Deutschland wird es allgemein
    mit einem weichen »w« gesprochen und bekommt in Zu-
    sammensetzungen ein Fugen-s: Adventszeit ist die Zeit des
    Advents, hier lässt sich das Fugen-s also mit dem Genitiv
    rechtfertigen.
    In Österreich wird der Advent vielerorts mit »f« ge-
    sprochen und erhält in Zusammensetzungen kein Fugen-s:
    Adventzeit, Adventkalender. Dass Sie die Formen ohne Fu-
    genzeichen schöner finden, ist ganz natürlich, denn man
    empfindet immer das als schöner, was einem vertraut ist. In
    Österreich ist »Adventzeit« richtig, in Deutschland »Ad-
    ventszeit«. Wie so oft gilt mehr als eine Möglichkeit. Beson-
    ders große Liebhaber des Fugenzeichens sprechen übrigens
    auch gerne vom»Adsventskranz«, denn das zischt so schön.
    Diese Form wird aber − wohlgemerkt − nur scherzhaft ge-
    braucht.

    Wie die Sprache am Rhein am Verlaufen ist

    Es gibt in der deutschen Sprache so manches, was es offiziell gar
    nicht gibt. Die sogenannte rheinische Verlaufsform zum Beispiel.
    Die hat weniger mit dem Verlauf des Rheins zu tun, dafür umso
    mehr mit Grammatik. Vater ist Fußball am Gucken, Mutter ist die
    Stube am Saugen. Und der Papst war wochenlang im Sterben am
    Liegen.
    Meine Freundin Holly ist Amerikanerin, genauer gesagt
    Kalifornierin. Obwohl sie ein sehr aufgeschlossener und
    wissbegieriger Mensch ist und seit nunmehr fünf Jahren
    in Deutschland lebt, hat sie mit der deutschen Sprache
    noch immer ihre liebe Not. »Deutsch ist so...complicated«,
    schimpft sie, »andauernd hat man es mit Ausnahmen zu
    tun.« −»Ich glaube nicht, dass es irgendeine Sprache gibt, die
    ohne Ausnahmen auskommt«, erwidere ich, »dafür sind die
    meisten Sprachen einfach zu alt und haben schon zu viele
    Entwicklungen durchgemacht.« −»Es ist aber eine Tatsache,
    dass die deutsche Sprache nicht wirklich praktisch ist«, sagt
    Holly,»eure Wörter sind so furchtbar lang, mit all den vielen
    Endungen, die Sätze hören gar nicht mehr auf, der Satzbau
    ist confusing, mal steht das Subjekt vorne, mal das Objekt,
    wer soll sich da zurechtfinden? Mark Twain hielt die deut-
    sche Sprache für besonders unordentlich und systemlos. Er
    hatte Recht!«- »Es klappt doch aber schon ganz gut bei dir«,
    versuche ich sie zu beschwichtigen. Da fällt Holly noch et-
    was anderes ein: »Und weißt du, was dem Deutschen au-
    ßerdem fehlt? Es hat keine continuous form!«. − »Keine
    was?«, frage ich.» Continuous form − l’m reading a book,
    you are watching TV und so weiter.« − »Ach so, du meinst
    die Verlaufsform«, sage ich. »Genau«, sagt Holly, »die ist
    ungeheuer praktisch! Es ist doch ein Unterschied, ob ich sage

    ›I am eating fish‹ oder ›I eat fish‹. Das Erste bedeutet, dass
    ich gerade jetzt einen Fisch verspeise; das Zweite bedeutet
    dagegen, dass ich grundsätzlich Fisch esse, aber das kann ich
    auch sagen, während ich gerade eine Mousse au Chocolat
    esse. Wenn man im Deutschen ausdrücken will, dass sich
    eine Handlung auf einen bestimmten Zeitraum bezieht, dann
    muss man einen Satz bilden wie »Ich bin gerade dabei, das
    und das zu tun.« Das ist doch total umständlich! Sogar im
    Japanischen gibt es eine Verlaufsform, warum nicht im
    Deutschen?«
    An dieser Stelle muss ich Widerspruch einlegen: »Dass es
    im Deutschen keine Verlaufsform gibt, ist nicht richtig.«
    Holly blickt mich erstaunt an: »Tatsächlich? Wie sieht die
    denn aus?« − »Nun, das kommt darauf an, es gibt nämlich
    mehrere Möglichkeiten, die Verlaufsform zu bilden. In der
    Standardsprache wird dabei nach folgendem Rezept verfah-
    ren: Man nehme eine Form von ›sein‹, dazu die Präposition
    ›beim‹ und den substantivierten Infinitiv, fertig ist die Ver-
    laufsform. ›Ich bin beim Einkaufen‹, ›Mutter ist beim Ge-
    schirrspülen‹, ›Lars ist beim Arbeiten‹ und ›Alle sind beim
    Essen‹, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Schöner, aber
    seltener ist die mit ›im‹ gebildete Verlaufsform: ›Bärte sind
    wieder im Kommen‹, ›Ich war schon im Gehen, da rief er
    mich noch einmal zurück.‹« − »Ach, das ist die deutsche con-
    tinuous form? Dann wird ›I’m thinking about you‹ auf
    Deutsch zu ›Ich bin beim Denken an dich‹?« − »Nein, die
    Verlaufsform bietet sich nicht für alle Verben an. Jedenfalls
    nicht in der standardsprachlichen Ausführung. Es gibt dane-
    ben aber noch eine umgangssprachliche, die sehr viel flexi-
    bler ist. Sie wird

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