Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2: Folge 2 (German Edition)
berücksichtigt werden, solange es sich um Pronomen der zweiten Person handelt. Auch in der Literatur hat es nie der Großschreibung bedurft, wenn sich zwei Personen in einer Geschichte unterhalten:
Die Sonne war schon untergegangen, als der Kater endlich nach Hause kam. Feline erwartete ihn bereits voll Ungeduld. »Warum kommst du so spät?«, fragte sie. »Ich habe mir große Sorgen um dich gemacht!« – »Aber du weißt doch, dass du dir keine Sorgen um mich zu machen brauchst«, sagte Felix und leckte sich die blutverschmierte Tatze, »der fette Mops wird sich so bald nicht wieder in meine Nähe wagen!«
In der Mehrzahl bereitete die Anrede erst recht Probleme: »Liebe Tante Emmi, lieber Onkel Berti, wie geht es euch/Euch? Habt ihr/Ihr meine Karte aus Italien bekommen? Ich habe mich über euer/Euer Geschenk jedenfalls sehr gefreut!«
Auch damit ist nun Schluss, der Rechtschreibreform sei Dank (?), jetzt gibt es nur noch kleine »ihrs« und »euchs«, Tante Emmi und Onkel Berti sind gewissermaßen zu tante emmi und onkel berti geworden.
Doch nun zur dritten Person. Hier wird die Sache erst richtig spannend, und hier liegt auch das größte Fehlerpotenzial. Denn ob man »du« und »ihr« in Briefen und E-Mails nun klein- oder großschreibt, ist vor allem eine Frage des persönlichen Stils und hat weniger mit richtig oder falsch zu tun. Etwas völlig anderes ist es mit dem »Sie«.
Beim Siezen werden alle Pronomen großgeschrieben, und zwar immer und ausnahmslos, sowohl in der direkten Ansprache als auch bei der Wiedergabe eines Interviews. Warum das so ist, lässt sich leicht begründen: Es besteht akute Verwechslungsgefahr! Sehen sie – Pardon: Sie nur mal hier:
Chatwoman: Meine Freundinnen gehen sehr oft ins Theater, manchmal nehmen sie mich mit.
Chatman: Im Schauspielhaus läuft ›Romeo und Julia‹. Haben sie das Stück schon gesehen?
Chatwoman: Wen meinen Sie? Meine Freundinnen?
Chatman: Nein, SIE! Haben SIE das Stück schon gesehen?
Chatwoman: Nein, noch nicht, aber ich würde sehr gern. Meine Freundinnen wollen es unbedingt sehen!
Chatman: Ich könnte ja mit ihnen mitgehen. Wie wäre das?
Chatwoman: Nun ja, da müsste ich sie erst mal fragen, aber in der Regel haben meine Freundinnen gegen eine neue Bekanntschaft nichts einzuwenden.
Chatman: Ich will mit IHNEN ins Theater gehen, nicht mit ihren Freundinnen.
Chatwoman: Im Grunde genügt bei ›Sie‹ und ›Ihnen‹ ein Großbuchstabe, nämlich am Wortanfang, wenn Sie mich meinen.
Chatman: ???
Dass Chatman und Chatwoman sich jemals getroffen haben und gar zusammen ins Theater gegangen sind, darf eingedenk dieses missglückten Starts ihrer Kommunikation bezweifelt werden.
Wenn er nicht gerade mit kulturinteressierten Damen chattet, ist Chatman womöglich Programmierer oder, noch schlimmer, Werbetexter, wenn nicht gar Redakteur. Die sind nämlich nicht selten von einer äußerst irritierenden Ihnen/ihnen-Schwäche befallen. Dabei schreiben sie nicht nur »sie« und »ihnen« klein, wenn »Sie« und »Ihnen« gemeint ist, sondern sie schreiben »Sie« und »Ihnen« groß, wenn es tatsächlich »sie« und »ihnen« heißen sollte. Ein Beispiel aus dem Internet:
»Wer den Messenger benutzt, merkt gleich, wann seine Freunde Ihren Computer eingeschaltet haben.« Offenbar ist dieser »Messenger« so eine Art Alarmsystem, das mich informiert, sowie sich einer meiner Freunde an meinem Computer zu schaffen macht. Ich frage mich nur, warum meine Freunde so etwas tun sollten. Allem Anschein nach aber kommt so etwas unter Freunden häufiger vor, sonst würde sich dieser »Messenger« wohl kaum verkaufen.
Ein anderes erheiterndes Beispiel lieferte eine Anzeige für eine Donaukreuzfahrt. Darin war der Satz zu lesen: »Die ›MS Savonia‹ ist ein Schiff der guten Mittelklasse und überzeugt durch Ihren besonders freundlichen Service an Bord.« Vorsicht, der Rabatt von 1100 Euro hat einen Haken: Willkommen auf der Galeere!
Wenige Tage vor der Wahl Joseph Ratzingers zum Papst stellte die Internetausgabe der »Bild«-Zeitung ihren Lesern die Frage: »Wird einer von Ihnen der neue Papst?« Diejenigen bild.de-Leser, die sich daraufhin Hoffnungen auf einen komfortablen Lebensabend in einem römischen Palast machten, wurden bitter enttäuscht, denn wie sich heraustellte, waren nicht sie gemeint, sondern die Kardinäle auf dem Foto.
Also: Beim Siezen schreibt man »Sie«, »Ihnen« und »Ihr« immer groß; wenn aber mit »sie«, »ihnen« und »ihr« dasselbe
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