Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2: Folge 2 (German Edition)
abzudrucken, in dem ein entrüsteter Leser forderte, die Zeitung solle sich »endlich mal wieder des Genitivs annehmen«.
Übrigens wurde einst sogar das Verb »vergessen« mit dem Genitiv gebildet. Das kann man heute noch an dem schönen Wort »Vergissmeinnicht« erkennen, das eben nicht »Vergissmichnicht« heißt. Aber der Genitiv hinter »vergessen« geriet in Vergessenheit. Nomen est omen. Allein das Blümchen ist geblieben und hält trotzig die Erinnerung an den Genitiv wach. Wenn Sie das nächste Mal einen Strauß Vergissmeinnicht bekommen, dann halten Sie kurz inne und gedenken Sie des Genitivs!
Und während ich hier sitze und mich gedanklich der Sache des zweiten Falles annehme, schaut mein lieber Kollege Gerald zur Tür herein und sagt mit einem breiten Grinsen: »Wenn du meinen Rat hören willst: Genitiv ins Wasser, denn es ist Dativ!« (»Geh nie tief ins Wasser, denn es ist da tief!«) Voll des Dankes ob dieses erbaulichen Spruchs blecke ich die Zähne und grinse zurück.
Statt ins Wasser zu gehen, stelle ich lieber eine Liste mit Verben zusammen, die heute noch ein Genitivobjekt haben. Allerdings ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Zwei Kategorien lassen sich dabei unterscheiden: zum einen die vollreflexiven Verben (die ausschließlich mit Reflexivpronomen gebraucht werden können), zum anderen Verben aus der Gerichtssprache (zum Beispiel verdächtigen, anklagen, überführen ). Man nennt den Genitiv hier auch Genitivus criminis .
Verben mit Genitivobjekt
anklagen
Er war des Mordes angeklagt.
annehmen
Wir nahmen uns des Themas an.
bedienen
Darf ich mich kurz Ihres Telefons bedienen?
bedürfen
Es bedarf keines Wortes.
bemächtigen
Da bemächtigte sich der Teufel ihrer Seelen.
beschuldigen
Man beschuldigte ihn des Betrugs.
besinnen
Sie besannen sich eines Besseren.
bezichtigen
Er wurde des Meineids bezichtigt.
enthalten
Er enthielt sich jeglichen Kommentars.
entledigen
Rasch entledigte sie sich ihrer Kleider.
erbarmen
Herr, erbarme dich unser!
erfreuen
Sie erfreut sich bester Gesundheit.
erinnern
Ich erinnere mich dessen noch sehr genau.
freuen
Er freut sich seines Lebens.
gedenken
Der Opfer wurde gedacht.
harren
Gespannt harren wir der Fortsetzung.
rühmen
Man rühmte ihn seiner Taten.
schämen
Ich schäme mich dessen.
überführen
Der Angeklagte wurde der Lüge überführt.
verdächtigen
Man verdächtigte sie der Spionage.
vergewissern
Im Spiegel vergewisserte er sich seiner selbst.
versichern
Sie versicherten sich ihrer gegenseitigen Zuneigung.
zeihen
Man zieh ihn des Verrats.
Klopft man an der Tür oder an die Tür?
Frage einer Leserin: Lieber Zwiebelfisch, bald steht ja wieder Weihnachten vor der Tür, und so habe ich denn eine Frage zum Nikolaus. Sie können aber von mir aus auch Knecht Ruprecht nehmen oder den Gerichtsvollzieher oder meinen Nachbarn. Die Person ist nebensächlich. Mir geht’s ums Türklopfen. Klopft der Nikolaus an DER Tür oder an DIE Tür?
Antwort des Zwiebelfischs: Beides ist möglich. Der Dativ (»an der Tür«) ist die Antwort auf die Frage »wo klopft es?«, der Akkusativ (»an die Tür«) ist die Antwort auf die Frage »wohin/worauf/wogegen wird geklopft?«.
Geht es mehr ums Klopfen, dann zeigt man dies durch den Dativ an:
Es klopft an der Tür.
Man hört ein Klopfen an der Tür.
Minutenlang wurde wie wild an der Tür geklopft und gerüttelt.
Geht es mehr um die Person, die anklopft, oder um die Tür, an die geklopft wird, so wählt man den Akkusativ:
Jemand klopft an die Tür.
Er hatte an so viele Türen geklopft und war doch nirgends eingelassen worden.
Nur wer an diese Tür klopft, kommt auch hinein.
Der Bedeutungsunterschied ist allerdings minimal, oft wird er gar nicht wahrgenommen. Für den Nikolaus selbst spielt es wohl keine Rolle, ob er an die Tür klopft oder an der Tür. Hineingelassen wird er in jedem Fall.
Ein ähnliches Phänomen lässt sich übrigens bei Verben der körperlichen Berührung (schlagen, treten, beißen, schneiden u. a.) beobachten: Wenn der Nikolaus mir auf gut Deutsch eine langt, stellt sich die Frage, ob er mich (Akkusativ) ins Gesicht schlägt oder ob er mir (Dativ) ins Gesicht schlägt. Beides ist grammatisch möglich, wenngleich weder das eine noch das andere wünschenswert ist. Der Dativ ist in diesen Fällen allerdings häufiger anzutreffen.
Er trat ihn/ihm vors Schienbein.
Sie zog mich/mir an den Haaren.
Ich habe mich/mir in den Finger geschnitten.
Der Hund biss ihn/ihm ins Bein.
Bei unpersönlichen Subjekten steht fast
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