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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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heute außerplanmäßig aus Gleis 5!« Auch über diese Aussage haben sich schon viele Reisende gewundert. Autos können aus der Stadt fahren, Menschen können aus der Haut fahren – und Züge offenbar aus dem Gleis. Mir wäre es lieber, sie blieben auf dem Gleis. Ein Bahnexperte könnte nun gewiss erklären, dass der Zug das Gleis Nummer 5 tatsächlich verlässt, wenn er auf die Hauptstrecke fährt, und trotzdem hat das Aus-dem-Gleis-Fahren einen sonderbaren Nebenklang. Außerdem sind die Ansager bei der Bahn nicht konsequent: Wenn ein Zug bei der Abfahrt aus dem Gleis fährt, müsste er bei der Ankunft entsprechend in das Gleis fahren. Trotzdem habe ich bis heute noch keine Durchsage gehört, in der es geheißen hätte: »Ins Gleis 4 erhält jetzt Einfahrt der Eurocity 412 aus Wien.«
    Was ich stattdessen immer wieder höre, ist Folgendes: »Aus diesem Zug bitte alle aussteigen! Dieser Zug endet hier!« Für mich beginnt ein Zug vorne mit der Lok und endet hinten mit dem letzten Waggon. Was da im Bahnhof endet, ist die Zugfahrt. Aber vielleicht sehe ich das zu eng. Andererseits – würde ein Busfahrer sagen: »Dieser Bus endet hier«, wenn er die Busfahrt meint? Und welche Mutter, die ihre Kinder morgens zur Schule fährt, würde sagen: »So, meine Kleinen, da wären wir! Raus mit euch! Dieses Auto endet hier!«? Ganz betroffen macht mich auch der Hinweis: »Dieser Zug endet hier und wird ausgesetzt!« Welch ein trauriges Schicksal: von allen verlassen und ausgesetzt – wie ein Hund auf einem Autobahnrastplatz! Ein weiteres seltsames Eisenbahner-Partizip lernte ich am Lübecker Hauptbahnhof kennen. Auf meine Frage, ob der leere Zug auf Gleis 5 der Zug nach Kiel sei, erhielt ich die Antwort: »Nein, bitte nicht einsteigen, dieser Zug wird abgeräumt.« Es war aber weit und breit kein Kellner zu sehen.
    Zwischen Frankfurt und Mannheim folgt die nächste Überraschung: »Unsere Weiterfahrt wird sich noch um wenige Minuten verzögern aufgrund einer Überholung.« Du lieber Schreck, denke ich, jetzt muss der Zug auf offener Strecke gewartet werden? Was ist denn passiert? Sind die Bremsen defekt? Oder ist es wegen der Klimaanlage, die den Reisenden den Restsauerstoff absaugt? Ich hätte ja auch nichts dagegen, wenn sie endlich mal was gegen dieses furchtbare Quietschen der Ziehharmonikaelemente zwischen den Waggons unternähmen – aber das muss doch nicht jetzt sein! Der kurz darauf auf dem Nebengleis dahindonnernde Zug lässt mich erahnen, dass mit »Überholung« nicht Wartung, sondern das Vorbeifahren gemeint war. Da sollte ich meine Sprachkenntnisse in Bahndeutsch dringend mal überholen, sonst werde ich irgendwann vom Irrsinn überholt und verstehe am Ende nicht einmal mehr Bahnhof!
     
    Derart seltsame Ansagen gibt es aber nicht nur im Schienenverkehr zu hören. Auch im Luftverkehr wird mancher Unsinn verzapft. Als ich vor Kurzem nach Kärnten flog, sagte die Stewardess bei der Landung: »Willkommen in Klagenfurt!« – »Moment mal«, dachte ich, »wie geht denn das? Die ist doch die ganze Zeit mit uns geflogen, wie kann sie mich jetzt plötzlich am Ziel willkommen heißen? Und woher weiß sie, dass ich in Klagenfurt willkommen bin? Womöglich wartet da draußen ein Erschießungskommando auf mich?« Was Stewardessen offenbar nicht wissen: Man kann nur dann jemanden willkommen heißen, wenn man ihn empfängt. Das Flugpersonal kann mich an Bord willkommen heißen, weil es mich dort empfängt, aber um mich in Klagenfurt willkommen heißen zu können, hätte die Stewardess eine Maschine früher nehmen müssen. Wenigstens aber hätte sie eben das Treppchen hinuntertrippeln müssen, etwas Klagenfurter Luft einatmen undanschließend das Treppchen wieder hinauftrippeln müssen, um sich für einen Willkommensgruß zu qualifizieren. Ihre Kollegin auf dem Rückflug macht es richtig: »Meine Damen und Herren«, sagt sie nach der Landung, »wir sind soeben in Hamburg gelandet.« Willkommen heißt mich dann mein Freund Henry, der am Ausgang auf mich wartet.
     
    Mitunter können Lautsprecherdurchsagen der Bahn ja auch ganz originell sein, so wie jene, die ich im Hamburger Hauptbahnhof hörte. Um das Gedränge vor dem Einstieg zu entspannen, sagte eine Stimme über Lautsprecher: »Bitte benutzen Sie auch die anderen Türen! Der Zug ist innen hohl!«
    Die knackigste Ansage hörte ich übrigens einmal irgendwo kurz hinter Göttingen: »Meine Damen und Herren, soeben ist unsere ofenfrische Brezelverkäuferin zugestiegen!« Na,

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