Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3
dachte ich gleich, an der würde mancher Fahrgast sicherlich gern mal knuspern.
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Nein, zweimal nein
Minus mal Minus ergibt Plus, so lehrt es die Mathematik. Nein mal Nein ergibt aber längst nicht immer Ja. Deshalb wird dringend davor gewarnt, den Sinn durch doppelte Verneinungen nicht ins Gegenteil zu verdrehen.
»Ich liebe die Sprache, weil sie logisch ist!«, schwärmte mir vor Kurzem ein Linguistikstudent vor, und ich fragte mich, an welcher Universität er so etwas gelernt haben könnte. Da hätte ich nämlich auch gern studiert. Tatsache ist, dass Sprache und Logik zwei unterschiedliche Disziplinen sind. Wer Sprache ausschließlich mit logischen Kriterien zu erklären versucht, ist zum Scheitern verurteilt. (Zum Trost sei gesagt: Es scheitern auch genügend andere an ihr.) Letztens sah ich an einem Kiosk ein Schild mit der Aufschrift: »Keine Annahme von Leergut zu keiner Zeit«. Für mich war klar: Der Kioskbesitzer hat die Schnauze voll, für die Dosensammler in seinem Viertel den Pfandautomaten zu spielen. Daher verweigert er die Leergutannahme, und zwar ausnahmslos. Ein Logiker indes könnte daraus schließen, dass Leergut hier zu jeder Zeit angenommen wird.
»Nanu, heute so schick in Schale?«, wundert sich meine Nachbarin Frau Jackmann, als sie mich aus meiner Wohnung kommen sieht. »Ich muss zu einem Fernsehauftritt«, sage ich, »es geht mal wieder um die Rettung der deutschen Sprache!« – »Na, dann machen Sie mal bloß keinen falschen Fehler!«, sagt Frau Jackmann. Vor falschen Fehlern habe ich eigentlich keine Angst, eher vor echten.
Zu früheren Zeiten wurde das Prinzip der doppelten Verneinung in der deutschen Sprache noch häufig angewandt.Als der preußische Generalleutnant Blücher 1806 in meinem ostholsteinischen Heimatdorf Ratekau vor dem französischen Marschall Bernadotte kapitulierte, schrieb er unter die Urkunde: »Ich kapithullire, weil ich kein Brot und keine Muhnitsion nicht mehr habe.« Weder die »Kapithullatsion« noch die doppelte Verneinung wurden ihm als Fehler ausgelegt, denn Blücher wurde später sogar noch zum Generalfeldmarschall befördert und in den Fürstenstand erhoben.
Heute gilt die doppelte Verneinung, wenn nicht als falsch, so mindestens als komisch oder gespreizt. In vielen Dialekten aber erfreut sie sich nach wie vor großer Beliebtheit. Was dem Franzosen sein »ne ... pas«, das ist dem Bayern sein »ka ... net«. So heißt zum Beispiel »Das interessiert doch niemanden« auf Bairisch: »Dös interessiert doch ka Sau net!« Im Verneinen sind die Bayern übrigens Weltmeister, denn sie bringen es sogar auf eine fünffache Verneinung. Ein Leser berichtete mir von einer Unterhaltung mit einem bayerischen Bergbauern, der über die große Armut klagte, in der er aufgewachsen war: »Koana hot niamals net koa Geld net g’habt.« Da war also definitiv nichts zu holen gewesen.
Aber nicht nur die mehrfache Verneinung hat es in sich. Schon ein einfaches »nicht« kann uns Probleme bereiten – zum Beispiel in einem Nebensatz oder in einer Frage. Bei irgendeiner Gelegenheit frage ich meinen Freund Henry: »Du hast nicht zufällig 50 Cent klein?«, und er erwidert: »Ja!« Erwartungsvoll blicke ich ihn an, aber Henry zuckt nur mit den Schultern. »Also, was ist denn jetzt«, frage ich, »hast du nun 50 Cent oder nicht?« – »Ich habe keine 50 Cent«, erwidert Henry gelassen. »Und wieso sagst du dann erst Ja?«, schnaube ich entrüstet. »Du hast mich gefragt, ob ich NICHT zufällig 50 Cent klein habe. Was derZufall damit zu tun haben soll, lasse ich mal dahingestellt. Ich konnte diese Frage nur mit Ja beantworten, weil das Nicht-Haben zutrifft, da sich in meinen Taschen zurzeit keine 50-Cent-Münze befindet. Hätte ich die Frage mit Nein beantwortet, hieße das nach den Gesetzen der Logik, dass das Nicht-Haben unzutreffend ist, ich also sehr wohl 50 Cent bei mir habe. Dann hätte ich meinen besten Freund belogen!« – »Dein bester Freund wird dich irgendwann zu einem Arzt schicken müssen«, stöhne ich, »jeder normale Mensch hätte in deiner Situation mit Nein geantwortet!« – »Mag sein«, sagt Henry, »logisch gesehen hätte er aber Ja gemeint. Ich gehöre nun mal zu denen, die sagen, was sie meinen.« – »Mit Logik kommt man hier nicht weiter. Die logische Antwort mag Ja lauten, doch die gefühlte Wahrheit lautet Nein!«, erwidere ich. Henry zieht erstaunt die rechte Augenbraue hoch: »Gefühlte Wahrheit? Sind das die Kriterien
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