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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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eines Sprachpflegers? In einem Punkt hast du allerdings recht: Von mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung weiß man, dass sie, wenn sie Nein sagen, in Wahrheit Ja meinen.« – »Welche 50 Prozent meinst du?«, frage ich. Zur Erklärung spielt Henry mir ein kleines Zwei-Personen-Stück vor:
     
    »Darf ich Sie noch auf eine Tasse Kaffee einladen?«
    »Nein!«
    »Mit Milch und Zucker?«
    »Nein!«
    »Nein mit Milch oder Nein mit Zucker?«
    »Keinen Zucker, bitte!«
     
    Trotz seines umwerfenden Charmes tut sich mein Freund Henry mit diesen besagten 50 Prozent nicht gerade leicht. Vermutlich steht ihm die Logik dabei im Wege. Seine damalige Frau geriet jedes Mal in Rage, wenn er auf ihr entschuldigendes »Du bist mir doch nicht böse, oder?« mit »Ja« antwortete, weil »nicht böse« zutreffend war.
     
    Apropos zutreffend: Die seinerzeit überaus beliebte Quiz-Sendung »Was bin ich?« hat nicht nur durch Robert Lembkes Frage »Welches Schweinderl hätten S’ denn gern?« dauerhaften Ruhm erlangt. Auch eine ganz bestimmte Frage-stellung des Rateteam-Mitglieds Hans Sachs ist bis heute unvergessen: »Gehe ich recht in der Annahme, dass ...?«, immer gefolgt von einer Negation. Zum Beispiel: »Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie nicht mit Tieren zu tun haben?« Wenn der Kandidat in seinem Beruf tatsächlich nicht mit Tieren zu tun hatte, musste er trotzdem mit »Ja« antworten, da die Frage eine zutreffende Verneinung enthielt, die er durch ein »Nein« abgestritten hätte. Und Robert Lembke nahm es schon sehr genau mit der Antwort seiner Gäste, denn immerhin standen nicht weniger als fünf Mark auf dem Spiel.
     
    In einem Reiseführer über Mexiko las ich folgenden Satz: »Es wird dringend davor gewarnt, seinen Mietwagen über Nacht nicht auf unbeaufsichtigten Plätzen abzustellen.« Vorne steht »Warnung«, und hinten der Rat, was man tun oder lassen sollte – logisch betrachtet wird also vor dem Ratschlag gewarnt. Auch von der Verhinderung eines gewünschten Ergebnisses kann man immer wieder mal lesen: »Ein satellitengestütztes Überwachungssystem soll verhindern, dass sich die Gefangenen nicht weiter als drei Meter vom Gebäude entfernen.« Oder: »Ein Glücksfall verhinderte, dass das Manuskript beim Brand der Bibliothek im September 2004 nicht zerstört wurde.«
     
    In der Mittagspause ruft Henry an und fragt, ob ich die Karten fürs Heimspiel am Samstag schon besorgt habe. »Nein,habe ich nicht«, sage ich. »Ich wollte nichts unternehmen, bevor ich nicht sicher weiß, ob Friedrich mitkommt oder nicht.« – »Worauf wartest du dann noch?«, fragt Henry. »Du weißt es doch jetzt schon nicht sicher, noch unsiche-rer kannst du in dieser Sache kaum werden!« In solchen Momenten begreife ich, warum seine Frau ihn rausgeworfen hat.
     
    Die Fügung »nicht ohne« ist auch nicht ganz ohne. »Er verneigte sich und ging – nicht ohne sich nicht noch einmal nach Véronique umzudrehen.« Gnädigerweise habe ich vergessen, in welchem Roman ich diesen Satz gefunden habe. Und ich weiß bis heute nicht, ob sich der Held nun noch einmal nach Véronique umgedreht hat oder nicht. Wie lautet die Formel: Nicht + ohne + nicht = Ja? Nein, wohl kaum. Das zweite »nicht« ist überflüssig, ein verstärkendes Füllwort, wie es die gesprochene Sprache so liebt und wie es bei Puristen und Logikern verpönt ist.
     
    Wenn man von Verneinungen spricht, die gar keine sind, dann darf natürlich auch die nicht unbedeutende Vorsilbe »un« nicht fehlen. Normalerweise besteht ihre Aufgabe da-rin, die Wortbedeutung ins Gegenteil zu kehren: ein Unheil bringt kein Heil, eine Unordnung ist keine Ordnung, und Unrecht widerspricht dem Recht. Demnach aber dürften Unmengen keine Mengen sein, Unsummen keine Summen, und Unkosten dürften nichts kosten. Das Präfix »un« hat bei diesen Wörtern jedoch keine verneinende, sondern eine verstärkende Funktion: besonders große Mengen, sehr hohe Summen, äußerst lästige Kosten. Für die rätselhafte »Untiefe« gibt es sogar zwei Definitionen, die einander widersprechen. Für die meisten ist eine Untiefe eine sehr tiefe Stelle im Wasser; in der Fachsprache bedeutet Untiefe jedoch genau das Gegenteil, nämlich eine nicht tiefe, alsoeine flache Stelle. Der Nichtschwimmer meidet Untiefen, weil er dort ertrinken könnte, und der Kapitän meidet Untiefen, weil sein Schiff dort auf Grund laufen könnte. Wie auch immer, es gibt offenbar mehrere gute Gründe, Untiefen zu meiden. Deswegen lohnt es

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