Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3
sich nicht, einen Streit anzufangen. Henry pflegt zu sagen: »Nichts für ungut. Alles für gut!«
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Es macht immer Tuut-Tuut!
Manches tut weh, anderes tut gut, dieses tut not, und jenes tut tut. Autos zum Beispiel, und Schlepper im Hafen. Und meine Tante Olga. Die macht auch immer tut. Sie tut zum Beispiel gern verreisen. Die meisten täten das sicherlich anders sagen. Aber einige können vom Tun einfach nicht lassen.
Hamburg tut gut! Und U-Bahn-Fahren tut not! Vor allem, weil Henry seit Wochen ohne Führerschein ist. Er kann ihn einfach nicht finden, sagt er. So fahren wir also mit der Bahn zum Stadion. An den Landungsbrücken steigt ein älteres Ehepaar mit einem kleinen Jungen zu: zwei Rentner, die mit ihrem Enkel eine Hafenrundfahrt gemacht haben. Der Junge hat ein Bilderbuch dabei, auf dessen Vorderseite eine quirlige Hafenszene mit vielen Schiffen und Kränen zu erkennen ist. »Die Abenteuer des kleinen Schleppers Tuut-Tuut« lautet der Titel. Immer wieder streckt der Kleine seiner Großmutter das Buch entgegen. Doch die winkt ab und sagt: »Oma tut dir nachher vorlesen, wenn wir zu Hause sind!« Im nächsten Moment schaut der Kleine aus dem Fenster und ruft begeistert: »Da, da, ein Schiff!« – »Das ist die ›Cap San Diego‹«, erklärt Oma, »ein alter Bananenfrachter. Der tut aber schon lange nicht mehr fahren.« – »Tut, tut!«, ruft der Kleine. »Ja«, sagt die Oma, »früher hat das Schiff auch getutet. Heute ist es ein Museum. Wenn du größer bist, tut der Opa das mal mit dir besichtigen!« Der Kleine strahlt und ruft wieder: »Tut, tut!« Die Oma lächelt glücklich zurück. Ich stoße Henry sanft in die Seite und sage: »Sag mal, erinnerst du dich noch an das Lied ›Mein Tuut-Tuut, es macht immer Tuut-Tuut‹ von der Gruppe Leinemann?« Henry sieht mich an: »Das hatte ich erfolgreich verdrängt! Und nun kommst du, und schon tut sich wiederein kultureller Abgrund auf! Schäm dich!« Ich versuche, mich ein bisschen zu schämen, kann aber nichts mehr da-ran ändern, dass uns »Mein Tuut-Tuut« für den Rest des Tages nicht mehr aus dem Kopf geht.
Vielen anderen Menschen geht es nicht aus der Grammatik – so wie der Oma in der U-Bahn. Und meiner Tante Olga. Die »tut« hin und wieder gern ins Theater gehen, aber nur »wenn’s was Leichtes geben tut«. Das kleine Verb »tun« ist eines der faszinierendsten Verben überhaupt. Was täten wir nur, wenn es »tun« nicht geben täte! »Tun«, das früher einmal »tuen« geschrieben wurde, weshalb man heute noch neben der üblichen Form »ich tu« auch »ich tue« schreiben darf, erfüllt in unserer Sprache viele verschiedene Aufgaben:
Mal bedeutet es dasselbe wie »machen«:
»Das kannst du auch alleine tun«.
»Tut mehr für eure Gesundheit!«
Mal steht es für »zufügen«:
»Der tut nichts, der will bloß spielen«.
»Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu«.
Dann wieder für »platzieren«, »unterbringen« oder »hinzufügen«:
»Du musst mehr Salz in die Suppe tun«.
»Ich weiß nicht, wo ich das hintun soll«.
Sodann für »sich verhalten« oder »ein bestimmtes Verhalten vortäuschen«:
»Nun tu doch nicht so!«
»Er tat, als ob er schlief«.
Und schließlich kann »tun« auch »geschehen« bedeuten:
»Was tut sich bei dir so?«
»Hier tut sich einiges«.
Und wer viel »zu tun hat«, der hat jede Menge Arbeit.
Wenn man die englische Begrüßungsformel »How do you do?« Wort für Wort übersetzt, kommt »Wie tun Sie tun?« dabei heraus. Die Verwandtschaft zwischen unserem »tun« und dem englischen »to do« ist unbestreitbar. Im Englischen dient »do« vor allem als Hilfsverb bei der Verneinung (I don’t understand) und bei der Fragestellung (Do you love me?). Außerdem wird es zur Betonung gebraucht (Yes, I do like broccoli = Doch, ich mag Brokkoli!) und bei der Antwort auf Ja/Nein-Fragen: »Do you know him?« – »No, I don’t«; »Do you love me?« – »Yes, honey, I do«. Es ist dem sicheren Sprachgefühl des Textdichters Michael Kunze zu verdanken, dass der Abba-Titel »I do, I do, I do, I do, I do« in der deutschen Version von »Mamma Mia« mit fünfmaligem »Ich will« wiedergegeben wurde – und nicht mit »Ich tu, ich tu, ich tu, ich tu, ich tu«. Das hätte dem Musical nicht gutgetan.
Im Rheinischen passt »tun« fast immer. Es hat dort gewissermaßen die Funktion des Universalverbs übernommen. Je nach
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