Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5
Perfektpartizip zu »geschliffen«:
Der Metzger wetzte die Messer und schliff die Klingen.
Das Holz muss vor dem Lackieren geschliffen werden.
Brillanten sind geschliffene Diamanten.
Wenn »schleifen« allerdings »hinter sich herziehen«, »über den Boden wuchten« bedeutet, wird es regelmäßig gebeugt:
Er schleifte die betrunkene Braut ins Bett.
Der Mörder hatte die Leiche ans Ufer geschleift.
Die Frau wurde vom Auto mitgeschleift.
Es gibt »schleifen« sogar noch in einer dritten Bedeutung: als »dem Erdboden gleichmachen«. So wurden früher nach siegreichen Angriffen die Burgwälle, Türme und Stadtmauern des Feindes abgetragen und eingeebnet, um ihn dauerhaft schutzlos zu machen. Dieses »Schleifen« wird ebenfalls regelmäßig gebildet:
Man schleifte die Mauern.
Die Befestigung wurde geschleift.
Doch zurück zum Schauplatz des Verbrechens: Wenngleich die Frau nicht einer Mauer gleich bis auf die Grundfesten niedergerissen wurde, so wurde sie doch geschleift – über den Boden nämlich – und nicht »geschliffen«. Wäre sie tatsächlich »geschliffen« worden, dann müsste der Parkplatz ein Exerziergelände sein. In der Armee werden Soldaten »geschliffen« – was sie jedoch nicht zwangsläufig zu Brillanten werden lässt.
Auf der Flucht der Räuber könnte sich folgendes Paradoxon ergeben haben: Angenommen, das Auto raste durch einen Haufen Glasscherben, dann wurden diese Scherben dabei sowohl geschliffen als auch geschleift; einerseits vom Gummi der Reifen abgeschmirgelt, andererseits an den Reifen haftend über den Boden bewegt.
Die Verwechslung in oben zitiertem Artikel dürfte allerdings nur die wenigsten erstaunen, denn dem Boulevardjournalismus geht es bekanntermaßen nicht um eine geschliffene Sprache, sondern um die Sensation. Die Sprache wird dabei als notwendiges Übel mitgeschleift.
Weiteres zu regelmäßigen und unregelmäßigen Verbformen:
»Cäsars Kampf gegen die starken Verbier« (»Dativ«-Band 1)
»Die Sauna ist angeschalten!« (»Dativ«-Band 2)
»Heute schon gegronsen?« (»Dativ«-Band 4)
»Als die Flamme verlöschte« (»Dativ«-Band 4)
Lingua cosmetica
Anti-Aging-Cremes, exfoliierende Lotionen, hydratisierende Emulsionen: Was uns die Kosmetikindustrie verkauft, riecht gut, klingt toll und ist irre teuer. Dabei verbirgt sich unter den schillernden Etiketten oft nur eine ganz gewöhnliche Plastikflasche. Mit den exotisch klingenden Wörtern ist es genauso.
Mein Freund Henry wohnt für ein paar Tage bei mir, weil in seiner Wohnung gerade das Parkett abgeschliffen wird. Als er sich in meinem Badezimmer umsieht, stellt er kopfschüttelnd fest: »Was du hier so alles herumstehen hast!« – »Wieso?«, frage ich. »Was gibt es daran auszusetzen?« – »Drei Viertel der Fläschchen und Tuben kannst du in den Müll werfen«, behauptet Henry. Da muss ich energisch widersprechen: »Das sind alles Dinge, die ich ganz unbedingt brauche!« Und mit Nachdruck füge ich hinzu: »Nichts davon ist überflüssig!« – »Alles Quatsch!«, urteilt Henry. »Ein Mann braucht nicht mehr als ein Stück Seife, etwas Shampoo und Rasiercreme. Aber bestimmt nicht so etwas!« Er greift nach einer Tube und liest mit übertriebener Betonung vor: »Anti-Aging-Creme«. Ich zeige keine Reaktion. Henry fragt besorgt: »Seit wann bist du ein Anti-Typ? Sonst bist du doch immer für alles: für soziale Gerechtigkeit, für die Umwelt, für weniger RTL und für mehr Arte – und nun plötzlich total anti: Anti-Aging, Anti-Falten, Anti-Spliss. Dein Badezimmer ist die reinste Protestkundgebung!«
Einen kurzen Moment denke ich darüber nach, warum es eigentlich Pro test heißt, wenn doch der meiste Protest gegen etwas gerichtet ist, also eigentlich ein Anti test sein müsste. »Ich habe auch Pro-Cremes!«, fällt mir dann ein. »Diese hier zum Beispiel hat einen Pro-Youthing-Effect!« Henry schnaubt verächtlich: »Pro-Youthing-Effect – es sollte mich nicht wundern, wenn der einzige sichtbare Verjüngungseffekt darin besteht, dass man plötzlich wieder überall Pickel bekommt!«
Das wird natürlich nicht eintreten, denn auf dem Cremetöpfchen steht deutlich: »Hautverträglich! Dermatologisch getestet.« Das ist einerseits beruhigend, andererseits auch irgendwie absurd, denn Hautverträglichkeit sollte bei einer Hautcreme selbstverständlich sein. Stellen Sie sich vor, die Lebensmittelindustrie würde auf alle Produkte »essbar« oder »Magen-Darm-verträglich« schreiben. Oder man würde Zeitungen und
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