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Der demokratische Terrorist

Der demokratische Terrorist

Titel: Der demokratische Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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herangekommen war.
    »Es scheint mir aber trotzdem ein recht weiter Weg zu sein von der Kulturgeographie unter besonderer Berücksichtigung des Nahen Ostens sowie islamischer Kunst bis hin zum Mord, oh, Verzeihung, zur antiimperialistischen Militanz«, versuchte Carl das Gespräch in neue Bahnen zu lenken.
    »Das ist gar nicht so sicher«, entgegnete sie. »Als Horst das erste Mal eines der jordanischen Wüstenschlösser sah, ich glaube, es war Qasr Umm Ain, hatte er ein Aha-Erlebnis. Weißt du übrigens etwas von diesen Wüstenschlössern?«
    »Nein.«
    »Sie stammen aus der Zeit der Omaijaden. Als sie im neunzehnten Jahrhundert entdeckt wurden, war das eine Sensation, weil ihre Mosaiken sich von der gesamten bis dahin bekannten islamischen Kunst unterscheiden. Sie sind nicht nur wunderschön, sondern auch figurativ. Es ist darstellende Kunst.«
    »Ja? Und?«
    »Deutsche waren als erste zur Stelle. Die schönsten Mosaiken wurden in Qasr Umm Ain von den Wänden gerissen. Sie befinden sich jetzt in einem Berliner Museum. Plünderung und Ausbeutung gibt es auf allen Ebenen und zu allen Zeiten.«
    Carl schwieg eine Weile. Es war ihm gelinde gesagt unklar, was im neunzehnten Jahrhundert gestohlene Mosaiken mit Morden und Banküberfällen des zwanzigsten Jahrhunderts zu tun haben sollten. Er gab auf.
    »Hast du mal eine Aktion gegen eine Bank mitgemacht?«
    wechselte er das Thema.
    »Nein. Ich war nur dabei, als wir zwei Kapitalistenschweine aus der Rüstungsindustrie unschädlich machten«, erwiderte sie mit abgewandtem Gesicht.
    Carl versuchte, sie sich mit einer Pistole in der Hand vorzustellen, versuchte zu sehen, wie sie diese auf den Kopf eines deutschen Direktors richtete und aus nächster Nähe abdrückte.
    Die Vision gelang ihm nicht. Das alles war völlig unvorstellbar, selbst in der Phantasie. Trotzdem hatte er nicht den geringsten Grund zu glauben, daß sie log.
    »Hast du geschossen?« fragte er.
    »Ja, einmal.«
    »Warum nur einmal?«
    »Wir wechseln uns ab. Bei jeder Aktion kommt ein anderer an die Reihe. Das ist am demokratischsten so; wenn jeder immer wieder eine neue Aufgabe erhält, vermeidet man Auseinandersetzungen.
    Außerdem muß jeder alles können, und jeder muß wissen, daß er alles kann. Wir sind ja so wenige.«
    »Du hast es nie bereut?«
    »Nein, warum sollte ich? Würdest du’s bereuen?«
    »Ja. Ich würde nie einen unschuldigen Menschen ermorden.«
    »So etwas gibt es nicht. Niemand ist unschuldig.«
    »Das habe ich schon mal gehört. Aber kam dir das nicht schrecklich vor?«
    »Doch, aber es ging so schnell. Es ist leichter, als man glaubt. Man krümmt nur den Zeigefinger, und alles andere macht die Waffe. Hinterher hat man das Gefühl, als wäre man fast nicht dabeigewesen, als hätte jemand anderes gehandelt.«
    »Keine Alpträume?« Sie überlegte kurz.
    »Doch«, sagte sie. »Es ist vorgekommen.«
    Horst Ludwig Hahn war strahlender Laune. Alles sei geregelt.
    Die Ware sei schon unterwegs. Er wollte nicht erzählen, wie er es geschafft hatte, aber Carl entnahm seinen Andeutungen, daß die Waffen jetzt in einem plombierten Lastwagen mit TIR- Schild geschmuggelt wurden und sich wahrscheinlich irgendwo zwischen Damaskus und der türkischen Grenze befanden. Die Ladung wog nicht mehr als achtzig Kilo und konnte leicht als Obstkiste durchgehen.
    Horst Ludwig Hahn hatte sie zu einer kleinen Gruppe von Restaurants mitgenommen, die gleich an der Zufahrtsstraße nach Damaskus aus Richtung Beirut wie Nistkästen am Berghang klebten. Diese Straße war neuerdings nicht mehr stark befahren. Als Vorspeisen hatte man ihnen rund zwanzig längliche kleine Platten mezza serviert, der Einleitung zu einer syrischlibanesischen Mahlzeit. Horst Ludwig Hahn plauderte munter darauf los. Sie befänden sich, sagte er, jetzt an der klassischen Erobererstraße nach Damaskus, also auf historischem Boden. Dann wechselte er abrupt das Thema und erzählte, mit den Syrern gebe es keine Schwierigkeiten mehr.
    Wenn diese den Eindruck gewonnen hätten, daß man Syrien irgendwie hätte mit der geplanten Aktion in Verbindung bringen können, hätten sie das ganze Vorhaben beenden können: »Da es aber keine Verbindung zwischen Syrien und den europäischen Guerilla-Organisationen gibt und die Syrer zudem offenbar nichts von Abu Nidais Forderung zu wissen scheinen, im Erfolgsfall kostenlose Reklame zu bekommen, haben sie sich nicht widersetzt. Da lag übrigens die Hauptschwierigkeit für uns. Die Vorstellung, daß Reagan

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