Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der demokratische Terrorist

Der demokratische Terrorist

Titel: Der demokratische Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
Vom Netzwerk:
Arbeit auf.
    Am nächsten Tag um die Mittagszeit verließ Carl auf dem Athener Flughafen humpelnd die Maschine. Er gab sich Mühe, die verwunderten Blicke seiner Umgebung zu ignorieren. Die dunkle Brille verbarg nur notdürftig sein übel zugerichtetes Gesicht. Er trug einen Arm in einer Schlinge und humpelte stark. Er fühlte, daß die Wunde am Oberschenkel wieder blutete und auf seinem Hosenbein einen größer werdenden roten Fleck hinterließ.
    Er hatte sein Ticket nach Athen umgebucht. Jetzt ging er in die Abflughalle und reservierte einen Flug nach Hamburg über Frankfurt, ohne das alte Ticket über Wien vorzulegen. Er bezahlte einfach neu. Er hatte Glück und erhielt einen Platz in einer Maschine, die in anderthalb Stunden starten sollte.
    Er wechselte etwas Geld, suchte eine Telefonzelle auf und rief die Nummer in Hamburg an, die er nur im äußersten Notfall anwählen sollte. Siegfried Maack nahm sofort ab.
    »Ich komme in vier Stunden nach Frankfurt. Ankunft 16.20 Uhr.
    Ich will dich bei erstmöglicher Gelegenheit sehen, und zwar am gleichen Ort, an dem wir uns zum erstenmal getroffen haben.
    Wir haben eine Notsituation. Ist das klar?«
    »Ja, verstanden«, erwiderte Siegfried Maack leise. Es erschreckte ihn, daß sich Carl offenbar in einer Situation befand, in der ein Notruf unumgänglich war.
    Dann legte Carl auf.
    Er ging hinaus, suchte sich einen Platz in der überfüllten Cafeteria und bestellten einen Ouzo - genau wie damals, als er auf dem Weg nach Beirut war, um unter anderem Mouna zu treEffsenh.errschte dichter Flugverkehr. Unaufhörlich starteten und landeten Maschinen. Eine davon war eine Swissair mit dem charakteristischen weißen Kreuz auf dem roten Leitwerk. Die Maschine kam aus Damaskus und war auf dem Weg nach Zürich. Planmäßige Ankunft 15.10 Uhr Ortszeit.
    Unter dem Frachtgut im Laderaum der Maschine befanden sich auch zwei hermetisch verschlossene Stahlsärge mit zwei toten Deutschen.

10
    Der ganze Körper tat ihm weh, und er fühlte sich matt und schläfrig. Sobald er aber die Augen schloß, sah er den sterbenden Horst Ludwig Hahn vor sich und schlug sie gleich wieder auf; es war wie beim Autofahren, wenn man spürt, daß man kurz vorm Einschlafen ist und vor Schreck zusammenzuckt, weil man sich dabei ertappt, daß man tatsächlich die Augen geschlossen hat.
    Er hatte die Toilette am Ende des Waggons aufgesucht und sich die graue Flanellhose ausgezogen. Den Blutfleck hatte er notdürftig mit kaltem Wasser ausgewaschen. Dann hatte er ein paar trockene, zusammengefaltete Papierhandtücher zwischen die blutgetränkten Bandagen gestopft und war vorsichtig in sein Abteil zurückgehumpelt. Im Krankenhaus in Damaskus hatte der Arzt behauptet, er müsse eigentlich noch eine Woche liegenbleiben, aber das wäre unmöglich gewesen. Irgendwo in Jugoslawien, vielleicht sogar schon bald in Österreich, war ein Schwerlaster unterwegs nach Hannover, beladen mit fast unfaßbar viel Tod und Zerstörung. Noch lag Carl in diesem Rennen vorn.
    Draußen herrschten Nebel und Dunkelheit. Außer kleinen, glitzernden Lichtern, die von Zeit zu Zeit vorbeiglitten und sich im Fluß spiegelten, konnte Carl nicht viel vom Rheintal erkennen.
    Er hatte gesehen, wie Siegfried Maack draußen an seiner Abteiltür vorbeiging. Der Kollege trug die gleiche wattierte blaue Jacke wie bei der ersten Begegnung. Carl vermutete, daß Maack ihn auch gesehen hatte, die Kontaktaufnahme aber aus irgendeinem Grund hinauszögerte. Vermutlich waren sie gerade dabei, den Zug nach unerwünschten Mitreisenden zu durchsuchen.
    Carl stand auf und stöhnte vor Schmerz, als er seine Reisetasche aus dem Gepäcknetz herunterwuchtete, die nicht einmal sonderlich schwer war. Er fummelte eine Weile mit seinem Kassettenrecorder herum, bis es ihm endlich gelang, eine Kassette einzuschieben, das Fagottkonzert von Mozart, KV 191. Dieses Konzert hatte er zu Weihnachten zum letztenmal gehört, als er krank im Hotelzimmer lag und phantasierte. Damals hatte er es noch mit den kleinen Ganoven aus der Hafenstraße zu tun gehabt. Damals hatte sich noch nichts Entscheidendes ereignet.
    Die Musik half ihm, die Augen zu schließen, ohne daß vor ihm gleich das Bild des sterbenden Horst Ludwig Hahn erschien, dessen Blut aus der Halsschlagader schoß. Carl kehrte zu seinen Phantasien von dem Adligen zurück, der die Entdeckung seines Lebens machte, als er den jungen Mozart beauftragte, ein Konzert zu schreiben, das es dem Auftraggeber ermöglichte, vor seiner

Weitere Kostenlose Bücher