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Der demokratische Terrorist

Der demokratische Terrorist

Titel: Der demokratische Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Familie zu glänzen. Carl nahm sich vor, irgendwann unter KV 191 nachzusehen, um die wirkliche Geschichte dieses Konzerts kennenzulernen.
    Er ließ das Band zweimal durchlaufen. Dann legte er eine neue Kassette ein, die er in einer Ladenpassage des Frankfurter Flughafens gekauft hatte. Es war die g-moll-Symphonie Nr. 25 die er von nun an immer mit Trauer und dem Rheintal in Verbindung bringen würde.
    Als Siegfried Maack ihn weckte, hatte sich das Gerät schon längst ausgeschaltet.
    »In zehn Minuten gehst du ans hintere Ende des Zugs. Er wird außerplanmäßig halten. Ich steige gleichzeitig aus, und wir sehen uns dann auf dem Bahnsteig. Hast du verstanden? Mein Gott, wie du aussiehst«, flüsterte Maack aufgeregt. Carl nickte schläfrig.
    So hielt der Airport-Express zum erstenmal in seiner Geschichte in St. Goar, und zwei Personen stiegen aus. Anschließend fuhr der Zug sofort weiter.
    Der Bahnsteig war menschenleer und in Nebel gehüllt. Siegfried Maack sprach gerade in ein Walkie-talkie, als er Carl entgegenkam.
    »Wir trennen uns hier. Du gehst in den Ort hinunter und suchst ein Gasthaus unten am Rhein, Goldener Löwe. Zwei Personen, ein blauer BMW, ein Mann und eine Frau. Hast du verstanden? Komm, gib mir deine Tasche«, flüsterte Siegfried Maack schnell, als befürchtete er, ein Unbefugter könnte mithören.
    Carl nickte erneut. Maack nahm Carls Tasche und verließ den Bahnsteig. Carl humpelte langsam hinterher.
    St. Goar war eine dieser typischen Märklin-Ortschaften, die er bei seiner ersten Fahrt mit dem Airport-Express aus der Ferne gesehen hatte. Es war kurz nach dem ersten Gespräch mit Siegfried Maack gewesen, als Carl nach dem Loreley-Felsen auf der anderen Seite des Rheins gefragte hatte und sie darüber gescherzt hatten, man solle dem Unternehmen vielleicht den Namen Götterdämmerung geben. Diese Bezeichnung kam Carl inzwischen gar nicht mehr übertrieben vor.
    Der Nebel war so feucht, daß Carl ihn als eine Art Regen aus mikroskopisch kleinen Tropfen empfand. Der Fußmarsch machte ihm so schwer zu schaffen, daß ihm auf der Stirn bald der kalte Schweiß ausbrach. Der Ort war fast menschenleer.
    Nichts erinnerte mehr an die sommerliche Touristensaison mit ihren Besuchermassen. Carl konnte die Berghänge auf der anderen Seite des Rheins nicht erkennen, vermutete aber, daß sie genauso grau, schwarz und braun aussahen wie neulich.
    Das Gasthaus Goldener Löwe wirkte, als hätte man es aus einer Touristenbroschüre herausgeschnitten. Die Fassade war reich mit Gold und Schnitzereien verziert und mit einem vergoldeten Löwen geschmückt. Hinter den gewölbten Butzenscheiben sah Carl einen Speisesaal mit rosafarbenen Tischtüchern und brennenden Kerzen. Nur wenige Tische waren besetzt. Carl nahm an, daß er hineingehen sollte, aber wenige Meter vor dem Eingang blitzte plötzlich zweimal die Lichthupe eines geparkten BMW auf. Carl ging auf den Wagen zu, und als er ihn erreicht hatte, wurde die Tür zum Beifahrersitz geöffnet. Carl stieg ein, ohne den Mann und die Frau genauer anzusehen.
    »Guten Abend«, stöhnte er und zwängte sich vorsichtig auf den Sitz. Die Frau auf dem Rücksitz schaltete ihr Walkie-talkie ein.
    »Alles klar«, gab sie kurz durch und erhielt ein kurzes O.K.
    zurück. Der Wagen startete seidenweich, fuhr zunächst durch den Ort und dann einen steilen, gewundenen Weg zu einer hellerleuchteten Burg hinauf.
    Die Burg war keine Ruine, sondern ein Restaurant und Hotel, Burg Rheinfels. Sie betraten es durch eine Hintertür bei der Schwimmhalle und fuhren mit dem Fahrstuhl ganz nach oben.
    Dort nahm Siegfried Maack Carl in Empfang, und seine beiden Begleiter fuhren wieder mit dem Fahrstuhl nach unten.
    Am Ende des Hotelkorridors saß Loge Hecht in einem von zwei aneinandergrenzenden Doppelzimmern. Er war allein, aber nebenan befand sich eine provisorische Kommunikationszentrale mit entsprechendem Personal.
    »Schnelle Arbeit, das muß ich sagen. Ein großes Empfangskomitee«, bemerkte Carl erschöpft und nahm seine dunkle Sonnenbrille ab. Er ließ sich in einen hellblauen Polstersessel fallen. Er warf einen Blick aus dem Fenster. Auf der anderen Seite des Rheins stand eine alte Märchenburg, die halb im Nebel verschwand, aber in dem gelbweißen Lichtschein starker Scheinwerfer noch zu erkennen war.
    »Seit deinem Anruf aus Athen haben wir höchste Alarmbereitschaft ausgelöst. Wenn ich dich so ansehe, scheint das auch begründet zu sein. Wie geht es dir überhaupt, und was ist

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