Der demokratische Terrorist
sechzehn Menschen sterben. Einer davon würde ein junger Offizier sein, Angehöriger eines ausländischen Nachrichtendienstes, mit dem die Bundesrepublik zusammenarbeitete; ein junger Offizier, der den Auftrag erhalten hatte, under deep cover unter westdeutschen Terroristen zu arbeiten.
Carl saß in dem englischen Lesesessel und hörte sich über die Kopfhörer der Stereoanlage ein schwermütiges Streichquartett von Brahms an. Die winterliche Abenddämmerung hüllte die konservative, in Leder und Mahagoni gehaltene Wohnungseinrichtung ein. Eigentlich hatte er seine Wohnung nicht so einrichten wollen, aber dies war eben ein Stil, den er in der Kindheit zu tolerieren gelernt hatte, und jetzt hatten Mahagoni und Leder fast die Funktion einer passenden Tarnung; alles sah so aus, wie es zu einem jungen, adligen Millionär aus der Börsenjobber-Truppe paßte, alles mit Ausnahme des verschlossenen Raums hinter der Stahltür mit dem Sicherheitsschloß.
Carl betrachtete die immer dunkler werdenden Umrisse der Topfpflanzen. Er hatte das Gefühl, als sei er dabei, sich auf ähnliche Weise aufzulösen. Hatte er sich nur als Couponschneider verkleidet, oder war er im Grunde eigentlich nicht mehr als das?
Er trank langsam ein Glas Whisky, während seine Gedanken zu der Hurenstraße abschweiften, durch die er auf dem Heimweg gegangen war. Das war ein eigenartiger letzter Eindruck von Schweden. Seine Lufthansa-Maschine ging früh am nächsten Morgen.
5
Er erwachte von dem urzeitlichen Ächzen im Innern der Maschine, als sich die Hydraulik in Bewegung setzte, um das Landegestell auszufahren. Noch nie hatte er in einem Flugzeug so lange und so unbeschwert geschlafen, und als er munter wurde, entdeckte er, daß er ausgeschlafen, sorgenfrei und sogar guter Laune war, und all das nur, weil er unterwegs war, wobei es überhaupt nicht darauf ankam, wohin. Er hatte immerhin eine Aufgabe vor sich, was etwas völlig anderes war als das langweilige Drücken der Schulbank wie in den letzten Monaten - und das nur, um einen weiteren Streifen an einer Uniform zu erobern, die er sowieso nicht trug.
Als die Maschine mit quietschenden Reifen die Landebahn berührte, entdeckte er einige Flugzeuge mit den Hoheitszeichen der U.S. Air Force. Genau, Frankfurt am Main ist nicht nur einer der größten Flughäfen Europas, sondern auch eine Militärbasis, folglich ein Terroristenziel.
Im Bus von der Maschine zur Ankunftshalle betrachtete er die Umgebung mit den Augen eines Terroristen. Falls man hier zuschlagen wollte, wie, wo und womit sollte es geschehen?
Das Gelände wurde intensiv bewacht. Es gab zwei oder drei Wachstationen mit jederzeit einsatzbereiten Panzerkampfwagen, und auf dem Dach der Ankunftshalle entdeckte Carl zwei Wachen mit automatischen Waffen; ein Angriff hier drinnen wäre ein selbstmörderisches Unternehmen, und zum Selbstmord neigten europäische Terroristen nicht, soweit er sich erinnern konnte. Man konnte sich der Startbahn aber natürlich auch in Längsrichtung nähern. Man mußte nur auf einige hundert Meter herankommen, das würde genügen. Und mit einer Stinger oder schlimmstenfalls einer SAM-7, ja sogar einer SAM- 7 würde man es auf diese kurze Entfernung schaffen, könnte man jede beliebige amerikanische Militärmaschine vom Himmel holen. Ein Treffer kurz nach dem Start hätte eine vernichtende Wirkung. Die vollgetankte Maschine würde auf dem Boden aufschlagen und sich in einen gigantischen Feuerball verwandeln. Das Durcheinander und die Verwirrung danach wären total, und es wären nicht mehr als drei Terroristen nötig, um eine solche Operation durchzuführen. Sie könnten sich sogar schon vor dem Einschlag der handlichen, tragbaren Rakete vom Tatort entfernen.
Warum hatten die Terroristen noch nie eine solche Aktion unternommen? Im Vergleich zu der Beschießung einer Warteschlange von Flugpassagieren, was in Terrorkreisen eine merkwürdig beliebte Methode war, hätte der Abschuß eines Flugzeugs entscheidende Vorteile: größerer Schaden, größere Sensation, größere Möglichkeit, sich die Opfer auszusuchen, dazu noch weitaus günstigere Möglichkeiten für die Terroristen, sich nach dem Angriff abzusetzen. Warum hatten sie es noch nie mit so etwas versucht?
War es vielleicht zu schwer, in ein Waffenlager der NATO einzudringen und eine Redeye oder eine Stinger zu stehlen?
Carl wurde jäh aus seinen Überlegungen gerissen, als der Bus kurz vor dem Erreichen der Ankunftshalle an einer Messerschmitt 109 aus dem
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