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Der demokratische Terrorist

Der demokratische Terrorist

Titel: Der demokratische Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Rheinburg vergingen weniger als drei Minuten, und jede Burg lag da wie in einem Märchen, in dem man sich ohne weiteres Ritter, Drachen und die gefangene Jungfrau vorstellen konnte. Eine solche Inflation an Burgen kam Carl ein wenig eigenartig vor, da in diesen Burgen doch Adlige gelebt haben mußten, die einander auch bekämpft hatten, und dafür erschien ihm der Abstand zwischen den Rivalen zu klein.
    Carl betrat sein Abteil und holte eine Karte, die er in der Maschine eingesteckt hatte, aus der Reisetasche. Der Zug näherte sich der Stelle, an der die Mosel als Nebenfluß in den Rhein fließt.
    Carl grübelte eine Weile über sein Verhältnis zu Deutschland nach. Er sprach ein schlechtes Deutsch, und er mochte die Deutschen nicht; sein erster Gedanke beim Wort Deutschland war ohne Zweifel der Nazismus. Seine erste Vorstellung von einem Deutschen war ein Mann in Polizeiuniform mit einem angeleinten, bellenden Schäferhund an der Seite. Deutsche Autos waren schwer, gediegen, teuer und für ältere Herren gedacht.
    Die Deutschen waren so etwas wie schwerfälligere Amerikaner, wenn man sie von ihrer allerbesten Seite sehen wollte; von der anderen Seite aus betrachtet waren sie laut, aufdringlich, vulgär, fett und nationalistisch.
    Carl gab sich Mühe umzudenken. Deutschland - das war auch das beste Bier der Welt, das waren Rhein und Moselweine, das war tausendjährige Kultur, gerade hier, wo der Zug jetzt durchfuhr. Carls Musikgeschmack war zudem rein deutsch. Es gab nicht nur das Deutschland der Schäferhunde, sondern auch das Deutschland von Mozart und Beethoven.
    Ein Schild auf der anderen Seite des braunen Flusses verkündete, daß sie soeben den Loreley-Felsen passierten. Der Felsen sah nach gar nichts aus; ganz oben eine Fahne, im übrigen hätte dies eine Flußbiegung wie jede andere sein können.
    Carl kramte im Gedächtnis, da gab es doch etwas Besonderes - das Rheingold? Also, das Rheingold lag unter dem LoreleyFelsen versteckt und wurde von den Nibelungen bewacht, und einer davon schmiedete einen Ring aus dem Rheingold, den Ring des Nibelungen, und…?
    Von Wagner war Carl noch nie sonderlich entzückt gewesen, und es war lange her, seit er zum ersten und bislang letztenmal die Opern durchlitten hatte. Es ärgerte ihn trotzdem, daß er sich nicht mehr genau erinnern konnte.
    Zwei Meter weiter im Gang stand ein Deutscher in Carls Alter.
    Der Mann trug eine Brille und betrachtete dieselbe Aussicht wie Carl. Er fragte ihn, ob er englisch spreche und erhielt ein freundliches Kopfnicken zur Antwort. Carl zeigte auf den entschwindenden Loreley-Felsen und fragte, ob dort das Rheingold versteckt sei. Der andere lächelte jetzt noch breiter, kam näher und zog die Tür zu Carls leerem Abteil auf. Dann streckte er die Hand zum Gruß aus: »Willkommen in der Bundesrepublik, Graf Hamilton, wollen wir uns setzen?«
    Carl ging hinein und setzte sich, und der andere folgte ihm und zog die Tür zu. Er setzte sich Carl gegenüber ein wenig umständlich und langsam hin, bevor er fortfuhr: »Mein Name ist Siegfried Maack, Verfassungsschutz. Nach Ihrer Frage nach dem Rheingold klingt mein Vorname Siegfried vielleicht wie ein Scherz, aber ich bin unschuldig. Ich heiße tatsächlich so. Und ich befürchte, es wird mindestens genauso komisch, wenn Sie meinen Chef kennenlernen, denn der heißt Loge. Wir sollten unser Unternehmen vielleicht Götterdämmerung nennen, um einigermaßen in der Metapher zu bleiben.«
    Beide lachten zunächst spontan, dann ein wenig angestrengt, als sie begannen, einander mit den Augen abzuschätzen; Carl, weil er jetzt den ersten leibhaftigen Vertreter des Verfassungsschutzes vor sich hatte, und Siegfried Maack, weil er jetzt endlich den Mann zu Gesicht bekam, über den er und sein Chef in den letzten Tagen unaufhörlich nachgedacht hatten.
    Carl gefiel, was er sah. Siegfried Maack war so weit von dem Bild eines deutschen Polizeiwachtmeisters mit dazugehörendem knurrendem Schäferhund entfernt, wie man es nur sein kann.
    Siegfried Maack war etwas unschlüssiger. War dieser nett und ordentlich aussehende Schwede mit den Lachfalten und seinem breiten weißen Lächeln wirklich der Killer, den die Berichte schilderten? Konnte das Aussehen wirklich so trügerisch sein?
    »Vielleicht sollten wir eine Weile mit den Scherzen aufhören«, begann Carl. Er spürte, daß es an der Zeit war, das angestrengte Lächeln abzustellen. »Ich würde gern wissen, was wir jetzt tun, wann, wo und wie?«
    »In Bonn. Sie

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