Der demokratische Terrorist
Einsatz in Mogadischu war noch effektiver als alles, was selbst die Israelis bei ihren erfolgreichsten Anti-Terror-Aktionen hatten leisten können.
Seitdem hatte sich die GSG 9 mehr oder weniger auf ihren Lorbeeren ausruhen dürfen. Gelegentlich waren ausländische Organisationen zu Gast, die in der Bundesrepublik eine Ausbildung durchliefen oder das phantasieanregende Waffenarsenal der GSG studieren wollten. Nach Mogadischu hatte die Einheit nur noch ein paar deutsche Terroristen ohne großen Schußwechsel festnehmen können. Das war alles.
Immerhin, es gab sie noch, diese Truppe in St. Augustin, und sie lebte in dem Bewußtsein, Weltmeister zu sein und härter und besser trainiert zu werden als alle anderen. Um das zu beweisen, hatte die GSG 9 sogar ähnliche Verbände aus verschiedenen befreundeten Ländern zu einem »Internationalen Wettbewerb«
eingeladen. Dabei kam es vor allem auf die Disziplinen an, in denen die GSG 9 brillierte, so daß sie einen glänzenden Sieg errang.
Sehr zum Ärger der rund 200 Angestellten hatten später auch die einzelnen Bundesländer ähnliche Einheiten mit grünen Baskenmützen und etwa den gleichen Waffen gegründet, die sogenannten Mobilen Einsatzkommandos, MEK. Trotzdem war man sich draußen in St. Augustin hinter den Betonmauern und den Stacheldrahtzäunen sicher, daß die Bundesregierung sich für die GSG 9 entscheiden würde, wenn es wirklich einmal brannte.
Diese Vermutung war zweifellos richtig.
Als Carl in einem dunkelblauen Mercedes nach St. Augustin gebracht wurde, hatte er immer noch keine Ahnung, was ihn unter dieser Adresse erwartete, die sich wie der Name eines amerikanischen Gefängnisses anhörte.
Er fühlte sich etwas zerstreut und hatte sich schon den ganzen Morgen über nicht recht konzentrieren können. Er hatte das Beethovenhaus besucht, hatte sich eine Minute vor neun dort eingefunden. Punkt neun Uhr hatte eine ältere Dame aufgemacht und ihm für fünf Mark eine Eintrittskarte verkauft. Er war in dem dreistöckigen Haus allein umhergewandert und hatte mehr auf das Echo und das Knarren seiner Schritte auf den Fußbodendielen gelauscht als auf Klänge aus der Vergangenheit.
In dem sogenannten Wiener Zimmer stand Beethovens letzter Flügel, ein erstaunlich kleines Instrument in hellem Mahagoni, einem handgeschriebenen kleinen Schild zufolge ein Geschenk des Wiener Klavierbauers Konrad Graf.
Carl konnte der Versuchung nicht widerstehen, einen Akkord anzuschlagen. Die Töne klangen wie erwartet schauerlich falsch. Nur Sekunden später stand ein älterer Mann in der nächsten Türöffnung und beschimpfte Carl, weil er seine Finger nicht hatte im Zaum halten können. Das Berühren der Exponate sei verboten. Carl hatte überhaupt nicht bemerkt, daß sich jemand in der Nähe befand, was ihn eher erstaunte als besorgt machte. Die Situation insgesamt war wirklich grotesk. Hier stand er wie ein Idiot mit einem Messer aus dunkelblauem Spezialstahl am Handgelenk, fingerte an dem verstimmten Flügel Beethovens herum, wurde von einem Rentner, der ihn beim nächsten Fehltritt mit deutscher Machtvollkommenheit aus dem Haus jagen würde, auf frischer Tat ertappt. Und zugleich war er auf eigenartigen Umwegen dabei, im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland eine Bank zu überfallen. Und dieser Überfall sollte Bestandteil einer Verteidigung der Demokratie gegen einen Typus von Wahnsinnigen sein, die nur ein Land wie Deutschland hatte hervorbringen können. Das alles verschmolz zu einem einzigen falschen Akkord. Es war nicht nötig gewesen, sich das Messer umzubinden. Er hatte es nach der einfachen Überlegung, daß es der einzige aufsehenerregende Gegenstand in seinem Reisegepäck war, aus reiner Zerstreutheit getan.
Überdies spielte es keine Rolle, denn es würde noch eine Weile dauern, bis die Polizei hinter ihm her war. Es kam ihm aber vor, als hätte er schon damit begonnen, sich selbst als Verbrecher zu sehen.
Noch als der Wagen die Sperren zum Militärgelände passierte, grübelte er über die seltsame Mischung von Erlebnissen an diesem Morgen nach. Der Wagen fuhr weiter, erreichte einen weiteren abgesperrten Bezirk und hielt auf einem auf drei Seiten umbauten Innenhof. Das Ganze sah aus wie eine Mischung aus Feuerwache und Kaserne. Der Haupteingang hatte einen kleinen Vorbau, davor standen einige leere Fahnenstangen. Das machte einen merkwürdigen Eindruck, als wäre Carl eben vor einem reklamefreien Hotel in Osteuropa vorgefahren.
In der Eingangshalle
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