Der demokratische Terrorist
Polizeischule gelernt hat.
Carl war nicht darauf trainiert, einen angeblichen Messerhelden unter lautem Hallo dazu zu bringen, vor ihm niederzuknien und laut und deutlich zu verkünden, er ergebe sich.
Carl war dazu ausgebildet, eine Konfrontation um fast jeden Preis zu vermeiden oder aber einen eventuellen Angreifer auszuschalten, im Zweifelsfall ohne Zögern zu töten.
Er blickte hilfesuchend zu Siegfried Maack, aber dieser warf ihm nur einen doppeldeutigen kurzen Blick zu. Es war unmöglich, sich aus der Klemme zu ziehen. Das neugierige Lächeln der jungen Beamten ließ Carl keine Wahl. Mit einem Seufzer stellte er seinen Kleidersack ab, warf seine Jacke auf den Fußboden und schlenderte zu dem Ausbilder hin, der in der Mitte der runden Ringermatte stand. Dann bückte sich Carl blitzschnell, zog sich ein Hosenbein hoch und löste mit der linken Hand sein eigenes an der Wade festgebundenes Messer.
Er warf es in die rechte Hand und richtete es etwa in Hüfthöhe gegen den Ausbilder. Dann nickte er, er sei bereit.
Es wurde still im Saal. Der blaugeflammte japanische Spezialstahl in Carls Hand besaß die Schärfe moderner chirurgischer Instrumente; und die Haltung, in der Carl das Messer in der Rechten hielt und sich mit der Linken gegen einen Ausfall schützte, indem er sie in einem Winkel von etwa 45 Grad nach unten neigte, sagte den Zuschauern schon genug.
Der Ausbilder zögerte zunächst und warf dann seinem vorgesetzten Offizier einen fragenden Blick zu. Dann schüttelte er den Kopf und zeigte mit einer ablehnenden Geste, daß er auf den Kampf verzichtete.
Als Carl sich bückte und das Messer wieder an der Wade festschnallte, nahm der Major die Gelegenheit wahr, eine etwas mißglückte Erklärung abzugeben.
»Die Lehre aus Hauptmann Charlies Darbietung besteht darin, daß die Wirklichkeit nicht immer…« begann er in einem Atemzug, bis er sich gezwungen sah, an der falschen Stelle im Satz Luft zu holen, »… mit Übungssituationen übereinstimmt. Nicht wahr, Hauptmann Charlie?«
Das war es ja gerade. Es war peinlich, für Situationen zu üben, die es in der Wirklichkeit nicht gab. Das konnte nur ein falsches Gefühl von Sicherheit mit sich bringen und im Einsatz zu Verwicklungen führen. Aber wie Carl das jetzt kommentieren sollte, dazu noch in seinem miserablen Deutsch, war etwas völlig anderes.
»Nun«, sagte er, trat wieder auf die Ringermatte und hob das Übungsmesser auf. »Sie sind Polizeibeamte, sie müssen bei solchen Leuten… vorsichtig umgehen. Ich bin Militär, das ist was anderes. Es ist schwer, Polizei und Militär gemeinsam trainieren zu lassen. Es sind verschiedene Ziele.«
Er war sich nicht sicher, ob er sich verständlich ausgedrückt hatte, und die Situation war auf jeden Fall äußerst peinlich.
Außerdem bereute er sein Verhalten schon jetzt. Es wäre besser gewesen, den Übungstrottel zu spielen und sich entwaffnen zu lassen.
»In Wirklichkeit«, fuhr er zögernd fort, wobei er den vorschriftsmäßigen Messerhelden-Griff der Polizei um das Messer illustrierte, »kommt kein Feind so…« Er drehte das Messer um, so daß es tiefer zeigte. »Ein Feind muß so das Messer in der Hand haben.«
Der Ausbilder gab ihm ein Zeichen, daß er das Messer zurückhaben wollte, und Carl warf es ihm hin. Er hatte zuvor die Schneide betastet und festgestellt, daß es sich um eine rundgeschliffene, ziemlich ungefährliche Übungswaffe handelte.
Aber jetzt gab der Ausbilder deutlich zu verstehen, daß es nun einen Rollentausch geben würde. Wieder befand sich Carl in einer Lage, in der ihm jeder Rückzug versperrt war. Er nickte dem Ausbilder zu. Er war bereit.
Der Ausbilder holte entschlossen Luft und bewegte sich mit einem starren Lächeln auf Carl zu, der jetzt den Blick seines Gegners suchte, da er zum schätzungsweise zehntausendsten Mal eher spürte als sah, wo sich das Messer befand, und so suchte er statt dessen in den Augen des Gegners einen Hinweis darauf, wann der Angriff erfolgen würde. Die Fortsetzung des Handlungsverlaufs saß wie eine Reihe elektrischer Impulse in Carls Rückenmark, und er handelte, ohne zu denken, ohne besondere Erregung, ohne Wut oder Furcht, da er sich schon in einem psychischen Zustand befand, in dem sein innerer Autopilot das Kommando übernommen hatte.
Als sich der Ausfall in den Augen des anderen ankündigte, führte Carl beide Hände gleichzeitig in einer Bewegung nach vorn, die dem Messer-Arm schon nach zwanzig oder dreißig Zentimetern begegnen
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