Der demokratische Terrorist
mußte. Carl umfaßte das Handgelenk seines Gegners mit der rechten Hand und dessen Oberarm mit der linken, schob das rechte Knie in die Bauchgegend des Angreifers und hob beide Arme zu einer Drehbewegung, während er sein Körpergewicht gleichzeitig nach hinten verlagerte.
Dieses Manöver bewirkte sofort zweierlei: Der Gegner verlor das Gleichgewicht und mußte hilflos miterleben, wie sein Messer-Arm durch die eigene Drehung in der Luft auf dem Rücken nach oben gebogen wurde. Der überraschende plötzliche Schmerz zwang ihn, das Messer loszulassen, das Carl schon fast übernommen hatte. In dem Augenblick, in dem die beiden Kämpfer gegen Ende des kurzen Sturzes auf die Matte fielen, zog Carl - oder richtiger sein Autopilot - das Messer in einer schnellen Bewegung über den Hals des anderen Mannes, über die Halsschlagader und die Luftröhre.
Die Messerspitze hinterließ einen dünnen roten Strich.
Auf einem Videofilm wäre alles zu rekonstruieren gewesen. In der Realität auf der Ringermatte sah das Ganze unbegreiflich aus.
Das, woran sich die Polizeibeamten der GSG 9, die Angehörigen der Gruppen Gelb und Blau, hinterher am deutlichsten erinnerten, war der rote Strich auf dem Hals ihres Ausbilders.
Er wäre schon vor dem Aufschlag auf der Matte ein sterbender Mann gewesen.
»Wie ich sagte«, fuhr Carl fort, als er sich erhoben und sein Gehirn den Autopiloten wieder abgelöst hatte, »ich bin Soldat, nicht Polizist. Gemeinsam können wir das nicht üben.«
Er gab dem unter Schock stehenden Ausbilder das Messer zurück, verbeugte sich höflich vor den Anwesenden und gab seinen beiden Begleitern ein Zeichen, daß er den Saal verlassen wollte. Es war fast mit Händen zu greifen, daß dies ein äußerst angemessener Vorschlag war.
Der freundliche Major hatte eine weniger freundliche Miene aufgesetzt. Beinahe mürrisch führte er seine Gäste in einen Büroraum, in dem er einen Stundenplan oder vielmehr den Vorschlag zu einem Stundenplan, wie er sich vorsichtig korrigierte, für Carls Woche als Gast in St. Augustin aus einer Schublade holte.
Die Nachmittage sollte Carl den besonderen Programmen des Verfassungsschutzes widmen, die der Führung der GSG 9 nicht näher bekannt waren. Dabei ging es um die theoretischen Studien, für die Siegfried Maack verantwortlich war.
An den Vormittagen sollten SET Gelb und SET Blau das taktische Repertoire der GSG 9 durchnehmen; das Programm sah verschiedene Methoden zur Erstürmung von Häusern und Wohnungen vor, von Hochhäusern oder Kanalisationsschächten, ferner den Umgang mit Handfeuerwaffen und besonderen Ausrüstungsgegenständen. Carl strich alle Stunden, die Nahkampfübungen vorsahen. Der Major erhob keine Einwände.
Kurze Zeit später waren Carl und Siegfried Maack allein. Sie befanden sich im ersten Stock in einer Flucht von drei hintereinanderliegenden Räumen, die mit einem Siegel und einem kleinen deutschen Bundesadler auf gelbem Grund plombiert worden waren. An der Tür machte ein Schild darauf aufmerksam, daß das Betreten der Räume verboten sei. Es handelte sich um zwei Schlafzimmer sowie um einen vorübergehend hergerichteten Vortragssaal mit der üblichen Konferenzausstattung.
Dort begann Siegfried Maack, den Inhalt zweier klobiger Reisetaschen aus Stahl auf den Tisch zu wuchten. Es handelte sich um etwa hundert Kilogramm Papier, die den wesentlichsten Teil der Erkenntnisse von BKA und Verfassungsschutz über den europäischen Terrorismus enthielten. Der Hauptakzent lag dabei auf dem deutschen Terrorismus in geographischer und dem Linksterrorismus in politischer Hinsicht. Das Material über den Rechtsextremismus war eher spärlich, da er für die beiden Behörden als weitgehend eliminiert und daher als Kuriosum galt.
Carl machte den Vorschlag, zunächst den Teil des Materials zu sichten, der sich am leichtesten erschließen ließ, was die Papierstapel relativ schnell überschaubar machen würde. Er meinte die verschiedenen technischen Gutachten, in denen beschrieben wurde, wie sich die Praxis der Terroristen entwikkelt hatte, angefangen bei den ersten Brandstiftungen bis zu den komplizierteren Anschlägen der späteren Zeit mit Sprengladungen und Schnellfeuerwaffen.
Die Dokumentation war mit Farbfotos der Ermittlungsbehörden reich illustriert. Leichenfotos, auf denen Einschüsse mit roter Tusche markiert worden waren, zeigten Männer, an deren Namen er sich von früherer Zeitungslektüre her schwach erinnerte: Schleyer, Buback, Pimental. Soweit Carl
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