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Der demokratische Terrorist

Der demokratische Terrorist

Titel: Der demokratische Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Neigungen, wohlgemerkt pazifistischen und nicht homosexuellen Neigungen. Ich möchte wirklich wissen, woher zum Teufel diese Angaben stammen. Ich habe nichts davon geahnt. Wir sollten jetzt aufhören. Jetzt kommt die letzte Flasche Geheimrat ›J‹, der geheime Richter, wie du weißt. Bald verkehren wir nur noch per Briefkasten. Ich gebe mich geschlagen. Der Computer ist die Gewalt schlechthin.
    Kein Mensch wird unserem Freund Horst Ludwig Hahn den Hals durchschneiden.«
    Sie tranken schweigend und mit fast feierlichem Genuß die letzte Flasche Geheimrat ›J‹ .
    Als Carl am nächsten Morgen aufwachte, fuhr Siegfried Maack schon in seinem dunkelblauen BMW auf der Autobahn nach Hamburg. Das Wiedersehen mit Carl würde länger auf sich warten lassen, als beide ahnten.
    Als sie sich wiedersahen, war Horst Ludwig Hahn inzwischen umgebracht worden, und zwar dergestalt, daß ihm jemand mit einem scharfen Messer und fast chirurgischer Präzision den Hals von einem Ohr bis zum anderen durchgeschnitten hatte. Aus unterschiedlichen, in juristischer Hinsicht jedoch völlig unanfechtbaren Gründen leiteten die Behörden der Bundesrepublik Deutschland keine Fahndung nach dem Mörder ein.

6
    Das Abtauchen in den Untergrund begann im Hamburger Hauptbahnhof. Wie eine dünne, aber erstaunlich feste Rettungsleine zur Oberfläche sicherte ihn das vage Bewußtsein, daß er der Jäger war. Mit seinem ganzen sichtbaren und fühlbaren Ich jedoch war er die Beute, der Gejagte, der Terrorist, und von jetzt an verabscheute er alles, was er sah. Die Veränderung fand innerhalb weniger Minuten statt, wie bei einem Schmetterling, der aus der Puppe kriecht - als er sein Erste-Klasse-Abteil verließ und den Bahnsteig betrat. Als erstes fiel ihm die Weite der Bahnhofshalle auf. Unter den gewaltigen braunschwarzen gewölbten Stahlbalken, dort oben, in Rauch und Ruß, hatte sich die jüngste, die unangenehme Geschichte Deutschlands festgesetzt. Es roch nach Krupp und dem Zweiten Weltkrieg, und wenn man die Augen schloß, hörte man das Keuchen und Zischen der Dampfloks. Ruß, Stahl, Schmutz und Halbdunkel, das war von nun an sein wahres Bild des kapitalistischen Deutschland, dessen gefährlichster Feind er selbst war, und mit ihm fünfundzwanzig Genossen, die er noch nicht kannte.
    In der Schlußphase seines verpuppten Daseins war er zunächst mit einem dunkelblauen Mercedes 190 nach Frankfurt gefahren.
    Die Zentralverriegelung war die gleiche wie bei den weißen Wagen der GSG 9 vom Typ 290 SE; diese Zentralverriegelung sowie das Zündschloß konnte er jetzt innerhalb weniger Sekunden überwinden. Bei jedem Bankraub würde er das Modell 190 fahren, da man diesen Wagen bei einem Bankräuber kaum vermuten würde, gerade wegen der angeblichen Sicherheit der Zentralverriegelung. Das würde die Polizei weniger mißtrauisch machen; andererseits könnte sich dieses Modell als Signal an das andere Ende der dünnen Rettungsleine erweisen, für den nicht ganz unwahrscheinlichen Fall nämlich, daß er in einer Situation landete, in der er die abgesprochenen Kommunikationswege nicht benutzen konnte.
    Er hatte den Wagen in Frankfurt etwa dort abgestellt, wo es vereinbart war, ihn mit seinem Dietrich verschlossen und war mit dem Zug nach Hamburg gefahren. Wieder einmal war er mit dieser vergrößerten Märklin-Eisenbahn durch das Rheintal gefahren. Er hatte gedankenverloren draußen im Korridor gestanden und die in Schwarz, Braun, Dunkelgrau und Hellgrau vorübergleitende Flußlandschaft betrachtet und davon phantasiert, wie dies in einer anderen Jahreszeit aussehen würde, wenn alles grün war. Sogar die alten Ritterburgen schienen in der Kälte und dem Nieselregen zu frösteln.
    Er empfand es als eine Art Ritual, als ein Abschiedsritual, und diese Empfindung war noch dadurch verstärkt worden, daß die ihm gegenübersitzende alte Dame ihm ihren Walkman und ein paar Kassetten geliehen hatte. Darunter war auch eine Neuaufnahme der kleinen g-Moll-Symphonie mit Originalinstrumenten, dirigiert von Nikolaus Harnoncourt. Beim ersten Anhören hatte er den Eindruck, daß die Musiker etwas zu laut spielten. Er spulte das Band zurück und hörte es sich noch mehrmals an, und so schuf er sich eine der unauslöschlichen Musikerinnerungen seines Lebens; Mozarts Symphonie Nr. 25, den ersten Satz, würde er für immer mit dem Rheintal im Dezemberdunst verbinden, oder richtiger gesagt: Das, Rheintal im Dezemberdunst und er selbst waren dabei, das eine Deutschland, das

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