Der demokratische Terrorist
anständiges, legales, bürgerliches Schaufenster mit deutschen Spielsachen für jeden x-beliebigen, der mit dem Tod spielen oder mit dem Tod drohen oder möglicherweise töten wollte; wie lächerlich manche dieser Messer auch aussehen mochten, konnte man sie natürlich dazu gebrauchen, Menschen zu töten, wie es ihr Design prahlerisch versprach; dies war Carls neues Deutschland, so sah Deutschland aus, wenn man es nach dem Abtauchen in den Untergrund betrachtete.
Er zog die Jacke enger um sich, zog den Reißverschluß ein bißchen höher und überquerte die Reeperbahn, wo er auf der anderen Straßenseite fast vor der Polizeiwache an der Davidstraße landete, in der so viele seiner schwedischen Landsleute aus verschiedenen Gründen ihren Aufenthalt in diesem Stadtteil beendeten, den man aus unbegreiflichen Gründen ein Vergnügungsviertel nennt. Das war ähnlich absurd, wie diese mageren, glitzernden und krank aussehenden Huren Freudenmädchen zu nennen.
Er fand sich gut zurecht, obwohl er noch nie in Hamburg gewesen war. Als er an der Polizeiwache vorbeiging, spürte er den Anflug eines heimlichen Triumphgefühls; hier würden sie nie einen bewaffneten Bankräuber vermuten, nicht so nahe bei der Polizeiwache. Er bog in die Davidstraße ein und überquerte eine baumlose Straße mit dem ungerechtfertigt schönen Namen Kastanienallee. Er blieb stehen und hängte sich den Campingbeutel über die andere Schulter. Die Straße war so gut wie menschenleer. Er konnte nicht mehr als zwei oder drei Huren entdecken, und er hatte den Eindruck, daß dies selbst in der Straße, in der sich auch die Polizeiwache befand, ein bißchen ungewöhnlich war.
Genau gegenüber sah er eine rote Sperrwand mit weißer Aufschrift, derzufolge Frauen und Minderjährige keinen Zutritt hatten. Er sah keinen Mann, der hineinging oder herauskam, und überlegte, ob er sich vergewissern sollte, daß die Frauen da drinnen tatsächlich in Schaufenstern saßen. Er verzichtete darauf, obwohl eines seiner alternativen Hotels genau auf der anderen Seite des kurzen Straßenstücks hinter der Absperrung lag, der Herbertstraße.
Beim Weitergehen entdeckte er das Restaurant Cuneo, das zumindest von außen so aussah, als wäre es nur ein Loch in der Wand, ein diskreter Eingang in einer hellroten gekachelten Hauswand. Dort mußte er natürlich hin, das sollte schließlich sein Stammlokal werden. Dort hatte einer der Terroristen den Anruf des zweiten entgegengenommen. Er korrigierte sich: Dort hatte einer der antiimperialistischen Genossen den Anruf des zweiten entgegengenommen.
Er bog nach rechts ab und ging einen Häuserblock weiter, vorbei an sieben oder acht Bierkneipen, Restaurants oder Videotheken, kam an einem Antiquitätenladen vorbei, in dessen staubigem Schaufenster seltsame Münzen gehäuft waren, sowie an weiteren drei oder vier Huren, die im Regen auf Freier warteten, dann hatte er sein Ziel erreicht. Auf der anderen Straßenseite lag Schmaals Hotel.
Das Nebenhaus hatte man abgerissen, und direkt vor ihm, im Dunst, lag die Elbe, schwarz, breit und praktisch ohne jedes biologische Leben. Nach ihrer langen Reise durch das Gebiet des erfolgreichsten Vertreters des Kommunismus, nämlich die DDR, und danach durch das Gebiet des erfolgreichsten Vertreters des Kapitalismus, nämlich die Bundesrepublik, war sie vollkommen vergiftet.
Er wußte, was ihn auf der anderen Seite des düsteren und verfallenen Hauses erwartete. Er warf einen Blick auf den hinteren Hausgiebel, um sich zu vergewissern, daß die Kneipe tatsächlich dort lag. Das Hotel vor ihm hatte ein Neonschild direkt über dem Eingang, aber es fiel trotzdem schwer zu glauben, daß dieses baufällige Haus ein Hotel sein sollte, ein Hotel, in dem Menschen übernachten. Für Carl war es jedoch sehr wichtig, gerade in diesem dreistöckigen Slumhotel an der Hafenstraße ein Zimmer zu bekommen. Dies war sein erstes strategisches Ziel. Er holte tief Luft, überquerte entschlossen die Straße und riß die Tür auf. Im Flur befand sich ein schmaler Tresen, an der Wand dahinter hingen drei oder vier Schlüssel; ebenso viele Schlüssel fehlten. Aus der danebenliegenden Bar kam eine kleine, fast kugelrunde Frau mit wasserstoffblondiertem Haar und kohlschwarzen Haarwurzeln, die Trainingshosen trug. Die Frau grüßte nicht, warf Carl aber einen kurzen, erstaunten Blick zu, als sie bemerkte, daß er allein war.
Dies war ein Stundenhotel für kurze Besuche in Damengesellschaft, etwas anderes hätte man auch
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