Der demokratische Terrorist
mit dem ernsten Hintergrund dieser Woche zu tun hatten. Außerdem zeigte sich bei beiden ein aufgestautes Bedürfnis, die persönliche Neugier zu befriedigen.
Carl erzählte seine Geschichte, wie die Clartéisten sich in den Kopf gesetzt hätten, daß die schwedischen Streitkräfte gegen die Sozi-Verräter gestärkt werden müßten - an dieser Stelle rief Siegfried entzückt aus, das stimme ja genau mit den verrückten konspirativen Vorstellungen der Terroristen überein, der Haß auf die Sozis sei ideologisch notwendig-, und wie der Alte ihm dann ein Angebot gemacht habe, das dem Loge Hechts an Siegfried erstaunlich ähnelte, wenn man es sich genauer überlegte: Im Kern stehe ja ganz einfach die Frage, ob man alles ernst meine, was man sage. Carl fuhr fort: »Ist Loge Hecht übrigens Sozi? Hat er dich vielleicht aus dem Grund angeworben, daß es beim Verfassungsschutz so wenig Sozis gibt?«
»Nein, durchaus nicht. Loge Hecht ist ein äußerst konservativer Mann, dessen Nähe zur CDU wohlbekannt ist. Aber er ist einer der wenigen wirklichen Profis der Branche. Und er hat tatsächlich einige Sozis angeworben, in der erklärten Absicht, daß es von Vorteil sei, Leute unterschiedlicher Weltanschauungen in der Organisation zu haben, weil es besser mit dem Ideal des demokratischen Rechtsstaats übereinstimme, einen Verfassungsschutz zu haben, der eher einen Querschnitt der Bevölkerung repräsentiert als nur eine politische Gruppierung, was in diesem Fall immer nur die Rechte sein würde, überdies eine deutsche Rechte, die unfähig sei, Grüne von Moskau-Kommunisten zu unterscheiden.«
Carl erzählte von dem Alten: »Er dachte damals tatsächlich genauso, betrachtete aber die Deutschen, die deutschen Kollegen, als einen Haufen von Rechten, die keine Ahnung und in operativer Hinsicht daher schlechtere Ergebnisse vorzuweisen hätten. Wie sieht es denn tatsächlich aus?«
»Das dürfte von Bundesland zu Bundesland verschieden sein. Im großen und ganzen müßte die Analyse deines ehemaligen Chefs zutreffen. Aber in Hamburg, mit Loge Hecht als Chef, weist das Personal ein breiteres politisches Spektrum auf.
Außerdem haben wir mit ihm den besten Chef in der Branche und die besten Aufklärungsergebnisse.«
Inzwischen waren sie bei ihrer dritten Flasche angelangt, ebenfalls einem Wein aus dem Rheingau. Auch dieser Wein war außerordentlich gut, obwohl er nicht ganz das Niveau des ersten erreichte. Von irgendwoher aus dem Erdgeschoß hörten sie Jubelschreie. Irgendein Fußballspiel hielt die diensthabenden GSG9-Beamten vor dem Fernseher gefangen. Ihr Ausrücken zum Kampf für die Demokratie würde sich wohl um mehrere Minuten verzögern, falls es den Terroristen einfiele, während eines wichtigen Fußballspiels zuzuschlagen.
»Dein Messer da, was hat es damit auf sich?« fragte Siegfried Maack leise, ohne den Blick von seinem Weinglas zu wenden.
Er drehte es sacht in der Hand und tat, als betrachtete er die geschliffenen Weinranken an dessen hellgrünem Rand.
Carl verstand die Frage zunächst nicht.
»Was meinst du? Wieso auf sich hat?« wollte er wissen.
»Ich habe doch Augen im Kopf. Diese jungen Burschen da unten haben doch auf eine Weise darauf reagiert, die, wie soll ich sagen, nicht ganz zu ihrer Einstellung paßt, sie seien die Besten und Stärksten der Welt…«
Carl überlegte kurz. Dann holte er das Messer aus der Tasche und nahm einen leeren weißen Briefumschlag. Er faßte den Umschlag an einer Ecke zwischen Daumen und Zeigefinger und hielt ihn etwa fünfzig Zentimeter vor sich. Dann hob er vorsichtig das Messer und schnitt von dem Umschlag einen Streifen ab, ohne daß er sich auch nur im mindesten bewegte.
Dann zog er das Messer mehrmals von oben nach unten und umgekehrt, so daß die zweischneidige Waffe weitere Streifen abschnitt. Es sah aus, als schnitte er Salamischeiben ab. Dann legte er das Messer behutsam auf die Überreste des zerschnittenen Umschlags und betrachtete seinen gleichaltrigen Kollegen kurz, bevor er etwas sagte. Siegfried Maack wand sich. Es war ihm deutlich anzusehen, wie unbehaglich ihm zumute war.
»Den gleichen Stahl findet man heute schon bei manchen japanischen Küchengeräten, allerdings ohne blaue Eloxierung.
Die soll nur verhindern, daß es im Dunkeln unnötige Reflexe gibt. Denn wenn man diese Waffe verwendet, dürfte es meist dunkel sein.«
Er machte eine kurze Pause, betrachtete forschend Siegfried Maacks Gesicht, bevor er sich entschloß, die Schraube noch mehr
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