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Der demokratische Terrorist

Der demokratische Terrorist

Titel: Der demokratische Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Ich selbst habe allerdings keine Ahnung, wie oder wo man an solche Dinger herankommt. Es müßte aber möglich sein, den einen oder anderen für diese Idee zu begeistern. Gaddhafi etwa würde es wohl kaum für eine dumme Idee halten, amerikanische Bomber abzuschießen. Vielleicht würde Libyen solche Raketen billig verkaufen, wenn jemand die Kontakte hat, aber davon weiß ich wie gesagt nichts.«
    Er machte eine Pause und trank sein Glas leer. Er fühlte sich wie der Rattenfänger von Hameln. Nicht einmal Friederike Kunkel, die ihre harte, ungerührte Maske so sorgfältig bewahrte, konnte ihre Begeisterung verbergen. Monika Reinholdt sah aus, als versetzte sie der Vorschlag in erotischen Genuß, und Werner Porthun hatte sich einen Zigarillo angezündet, an dem er energisch sog, obwohl im Zimmer offensichtlich Rauchverbot herrschte (es stand kein Aschenbecher auf dem Tisch), und Porthun hatte sich einen schnellen mißbilligenden Seitenblick der Kunkel eingehandelt. Er schnippte die Asche in die Handfläche, während er Carl unablässig anstarrte.
    »Wird man in der schwedischen Armee wirklich in all diesen Dingen ausgebildet?« wollte Martin Beer wissen. Er schien der einzige im Raum zu sein, der sich gegenüber Carls Plänen zu einem internationalen Großkrieg eine gesunde Skepsis bewahrt hatte. Carl ließ sich jedoch nicht bremsen, ganz und gar nicht.
    Er erklärte, erstens sei er nicht in der Armee ausgebildet worden. Er sei bei der Marine zum Angriffstaucher ausgebildet worden. Nach kurzem Überlegen fuhr Carl fort: »Ein schwedischer Marinetaucher hat die Aufgabe, im Schutz der Dunkelheit sowjetische Positionen anzugreifen. Folglich geht es meist um individuelle Einsätze. Neben der reinen Erkundung geht es auch darum, größtmöglichen Schaden anzurichten, und darum wird bei der Ausbildung auf Sprengstoffe und Sabotage so großes Gewicht gelegt. Wenn man aber unter Wasser angreift, kann man nicht beliebig viele Waffen mitschleppen, so daß man gezwungen ist, sich vor Ort einzudecken. Und da man im Einsatz ausschließlich sowjetische Waffen vorfindet, bin ich mit sowjetischen Waffensystemen gründlich vertraut gemacht worden, angefangen bei Handfeuerwaffen bis hin zu RPG und den kleinsten Boden-Luft-Raketen, surface to air missiles, den Dingern, die man SAM nennt. Das ist die langwierigste Ausbildung bei den schwedischen Streitkräften, und mit Übungen und anderem sind zwei Jahre daraus geworden.«
    Der größte Teil dieser phantasievollen Details war erlogen: Die Ausbildung zum Marinetaucher ist zwar hochkompliziert, aber sowjetische Granatwerfer und Luftabwehrraketen gehören beileibe nicht zum Ausbildungsstoff. Carl war jedoch überzeugt, daß es keinem der Terroristen gelingen würde, diese Angaben nachzuprüfen. Das von ihm gezeichnete Bild kam der Wirklichkeit im übrigen recht nahe und schien auch plausibel zu sein.
    Während Carl sein übertrieben positives Bild von der schwedischen U-Boot-Abwehr zeichnete, versuchte er zu ergründen, warum er auf so wenig Skepsis stieß. Die entscheidende Frage war ja nicht die, ob er tatsächlich mit Granatwerfern umgehen konnte. Bedeutend wichtiger war die Frage, die ihm niemand stellen zu wollen schien, nämlich die, warum er plötzlich zum individuell operierenden Terroristen geworden war, warum er trotz seiner Behauptungen, es gebe große Unterschiede zwischen ihnen, in Wahrheit genauso auftreten konnte wie die bundesdeutschen Terroristen. Was ihm selbst als unwahrscheinlich und kaum glaubhaft vorkam, konnten die Deutschen offenbar leichter akzeptieren.
    Während er so prahlte und phantasierte, nahm er die Anwesenden in Augenschein, um sie besser verstehen zu können.
    Sie waren korrekt und gut gekleidet und bewohnten eine elegante Wohnung. Weder an ihrem Äußeren noch an ihrer Kleidung oder Umgebung fand sich auch nur der mindeste Hinweis auf linke Politik oder gar Terrorismus. Keine Poster an den Wänden, kein ausgefallener Halsschmuck, keine »intellektuelle«, schlampige Kleidung, im Gegenteil: Alles an ihnen war betont normal und bürgerlich, und das auf eine Weise, die sie sich eher aus Sicherheitsgründen denn aus persönlichem Geschmack selbst auferlegt haben mußten. Sie mußten so gut wie völlig von der anderen Welt, von normalen Menschen isoliert leben. Sie durften sich nicht mal in die Nähe der üblichen Wischi-Waschi-Grünen oder der studentischen Linken wagen. Für sie war der Krieg, das Leben im Untergrund, die Ausrichtung auf Tod und Zerstörung

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