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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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lang verbargen sie voreinander die Augen –
aus Scham."
    „Ein Tag
ist nicht viel. Wer hat ... Wie hat man sie getötet?"
    „Ich weiß nicht. Ich konnte nicht
zusehen. Und fragen wollte ich nicht."
    „Was haben sie nachher über sie
geredet?"
    „Nichts. Leicht vergessen die
Menschen das, was ihnen nicht zum Ruhme gereicht."
    „Und
du?"
    „Ich bin weggegangen, bald darauf.
Ich habe mich geschämt – für die Soldaten. Und ich habe dich bedauert und deine
Mutter, lange. Dich besonders.
Wir waren Freunde gewesen, einen besseren Freund hatte ich nie." Er schloß
die Augen und begann zu schwanken, als würde er ohnmächtig.
    „Kann ich
gehen?" fragte er leise, ohne mich anzusehen.
    „Bist du
krank?"
    „Nein."
    Ich legte ihm die Hand auf die
Stirn, diese ganz gewöhnliche Bewegung kostete mich Mühe, beinahe hätte ich
davon abgelassen, denn ich spürte, wie mir die Handfläche brannte, ehe
sie ihn erreichte. Und als ich dann seine weiße Haut berührte, gelang es ihm
kaum, den Kopf stillzuhalten, ihn nicht abzuwenden, er saß unnatürlich starr,
als wartete er auf den Dolch.
    „Geh", sagte ich. „Das Gespräch
hat uns genug gemartert, dich wie mich. Wir müssen uns gewöhnen."
    Schwankend
ging er hinaus.
    Ich ließ von Mustafa Honig für ihn
beschaffen, schickte ihn spazieren, redete ihm zu, er solle wieder eine
Koran-Abschrift beginnen, bot ihm an, wir würden goldene und rote Farben
besorgen, er aber wollte nichts davon wissen, wurde immer merkwürdiger und
noch verschlossener als früher. Als bereitete ihm meine Aufmerksamkeit wahre
Qualen.
    „Du verwöhnst ihn", bemerkte
Hafiz Muhamed scheinbar vorwurfsvoll, aber man konnte ihm leicht ansehen, daß
er zufrieden war. Die Güte eines anderen bewegte ihn
mächtig, obgleich er sich selbst nie an jemanden binden mochte. Güte war für
ihn ein Sonnenaufgang: schön anzusehen.
    „Er sieht mitgenommen aus",
sagte ich, mich rechtfertigend. „Etwas geht in ihm vor."
    „Ja
wirklich, er sieht mitgenommen aus. Ob er verliebt ist?"
    „Verliebt?"
    „Was wunderst du dich? Er ist jung.
Am besten wäre es, er heiratete und verließe die Tekieh."
    „Wen soll
er nehmen? Die, in die er verliebt ist?"
    „Nein, auf keinen Fall! Aber gibt es
nicht genug Mädchen in der Stadt?"
    „Ich sehe, daß du etwas weißt. Warum
läßt du mich raten?"
    „Ich weiß eben nicht viel."
    „Sag, was du weißt."
    „Vielleicht ist es nicht recht, wenn
ich spreche. Vielleicht denke nur ich so."
    Ich drängte nicht, ich wußte, er war
auf dem falschen Wege, aber ich wußte auch, daß er sprechen würde. Sein
gespieltes Zaudern wirkte komisch, gerade weil er alles sagen wollte, hatte er
das Gespräch ja begonnen. Gott mochte wissen, was er gesehen und sich in
seiner Naivität gedacht hatte. Nicht viel erwartete ich von seinen
Mitteilungen.
    Freilich, als er dann berichtete,
kam es mir doch seltsam vor. Er war zu Hasans Vater unterwegs, erzählte er, und
vor dem Tor des Kadi-Hauses sah er Mula Jusuf. Der stand da, offenbar
unentschlossen, blickte auf die Fenster, tat ein paar Schritte zur Tür hin und
hielt inne, dann, sich umschauend, entfernte er sich langsam vom Haus. Etwas
hatte er gewollt, etwas erwartet, jemanden hatte er gesucht. Als sie dann
einander begegneten, fragte ihn Hafiz Muhamed nichts, der Jüngere aber sagte,
er sei beim Spazierengehen zufällig hierhergeraten. Gerade daß er dies sagte,
weckte in Hafiz Muhamed Verdacht, auch Sorge, denn der andere war weder
zufällig hierhergeraten noch beim Spazierengehen. Und lieb wäre es ihm, meinte
Hafiz Muhamed, wenn er mit seiner Vermutung nicht recht behielte. Darum habe er
bisher auch geschwiegen.
    „Und was hast du vermutet?"
fragte ich aufgeregt, da ich mich überraschend der Lösung des Geheimnisses
ganz nahe sah.
    „Ich schäme mich, es auch nur
auszusprechen. Aber er benahm sich so sonderbar. Und außerdem griff er zur
Lüge, um sich zu rechtfertigen, das heißt, er fühlte sich schuldig. Da dachte
ich mir, er sei wohl verliebt."
    „In wen verliebt? In Hasans
Schwester?"
    „Siehst du, auch du hast daran
gedacht. Und wenn es nicht wahr ist, mag Gott mir den sündigen Gedanken
verweisen."
    „Kann sein", sagte ich düster.
„So mancherlei widerfährt dem Menschen."
    „Man müßte mit ihm sprechen. Er wird
sich nur unnütz quälen."
    „Meinst du?"
    Er blickte mich verwundert an,
begriff nicht meine Frage, begriff nicht, daß es Bosheit war, und er meinte,
der Junge tue ihm leid, diese aussichtslose
Liebe würde ihn wie

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