Der Derwisch und der Tod
ihm helfen könne.
Ich lächelte still und warm,
vielleicht hängte ich etwas gewaltsam alles aneinander, was ich sagen wollte
und was mir wichtig schien, ein wenig beunruhigt war ich bei dem Gedanken, daß
Hasan in der Deutung seiner Freundschaft nicht so weit gegangen
wäre. Aber jeder auf seine Weise – und meine Aufgabe war schwerer.
Mula Jusuf zeigte sich
zurückgezogener und noch weniger zum Sprechen aufgelegt als beim ersten
Gespräch. Doch er war nicht weniger erregt. Er hockte vor mir auf den Knien,
als umschnürte ihm etwas die Brust, als fieberte er, unablässig mühte er sich,
den Krampf der Finger, die er sich in die Schenkel gebohrt hatte, zu lockern,
ohne eigenen Willen die heißen Augen schließend und öffnend und sie in Qualen
auf mich richtend. Er konnte nicht verbergen, daß meine ruhig gesprochenen
Worte wie ein Gewittersturm in ihm wüteten. Einen Augenblick lang, als mir
plötzlich schien, er würde aufschluchzen, wollte ich ihn gehen lassen, wollte
ihm und mir selber weitere Qualen sparen, aber ich zwang mich, das, was ich
begonnen hatte, zu Ende zu führen. Das Schicksal sollte sich weiter an uns
vollziehen.
Ich sagte, Hasans Freundschaft und
dieses Geschenk, mit dem alles zwischen uns begonnen habe, hätten mich zu rettenden
Überlegungen und Entschlüssen geführt. Der einzige Gegenstand, der mir aus dem
Elternhaus geblieben sei, von meiner Mutter, sei ein Tuch mit vier gestickten
goldenen Vögeln, ich hielte es in meiner Truhe verwahrt. Hasan habe die Vögel
auf den Einband eines Buches übertragen und mich damit wie ein Kind, wie einen
Narren gerührt. Und da hatte ich begriffen, was das Wichtigste sei. Ob er, Mula
Jusuf, sich erinnere, auch ihn hätte ich damals nach dem goldenen Vogel
gefragt, der Glück bedeutet. Jetzt hätte ich es begriffen: Es ist die
Freundschaft, die Liebe zum anderen. Alles, was es sonst noch gebe, könne
trügen, dies nicht. Alles andere könne uns entgleiten und uns hohl und leer
zurücklassen, dies aber könne es nicht, denn es hänge von uns ab.
Ich könne ihm nicht sagen: Sei mein
Freund. Aber ich könne sagen: Ich will dein Freund sein. Ich hätte niemanden,
der mir näherstünde als er, Jusuf. Möge er mir den Sohn ersetzen, zu dem ich
nicht gekommen; möge er mir den Bruder ersetzen, den ich verloren habe. Auch
ich wolle ihm alles sein, was er sich wünsche und was er nicht habe. Jetzt
seien wir gleich, unglücklich gemacht hätten uns böse Menschen. Warum sollten
wir nicht einander Schutz und Trost sein? Es möge sein, daß es mir leichter
falle, denn immer hätte ich den Knaben von der Ebene im Herzen getragen, auch
dann, wenn mir mein Unglück wichtiger als alles andere war. Doch ich hoffte,
auch ihm würde es nicht schwerfallen; ich wolle geduldig sein, wolle darauf
warten, daß die Freundschaft, die er, das wisse ich wohl, für mich empfunden
habe, von neuem auflebe.
Hatte er sich gekrümmt? Hatte er
gestöhnt? Hatte er den Klagelaut noch ganz am Rand der trockenen Lippen
zurückgehalten?
Umsonst, keine Rettung, du, der du
mir als Freund nicht beschieden bist.
Darum könne ich ihm jetzt (fuhr ich
unerbittlich fort) auch das sagen, was ich ihm nicht sagen würde, wenn mir
nicht an ihm läge. Oder was ich sonst anderes, mit anderer Absicht sagen würde,
mit dem Ziele, das Ansehen unseres Ordens zu schützen. So aber solle es ein
freundschaftliches Gespräch sein, das nur mich und ihn betreffe. Es werde mir
nicht leichtfallen, es zu sagen, ihm nicht leicht, es zu hören, noch schlimmer
aber wäre es, wenn wir schwiegen.
„Ja", sagte er, kaum atmend,
erschrocken und voll aufgeregter Neugier, betäubt schon von dem, was er gehört
hatte, aber nicht wissend, ob das alles sei, denn seine gespannte Haltung
verriet, daß er unablässig auf etwas wartete, etwas Wichtiges, auf das
Allerwichtigste: den endgültigen Grund dieses Gesprächs. Ich gab ihm den Grund,
ohne etwas aufzudecken, ließ ihn sich selbst aufdecken.
Ich sprach weiter:
Es sei nicht meine Sache, danach zu
forschen, wohin er gehe und was er tue, ich hätte es zufällig erfahren, und es
tue mir leid, es erfahren zu haben, wenn das wahr sei, was ich befürchtete.
(Es sah aus, als wollten ihm die Augen herausspringen, er blickte auf mich wie
auf eine Schlange, gebannt, erwartete sehnlich meine Worte und fürchtete sie
zugleich.) Doch was habe er vor der Tür des Kadi-Hauses gesucht? Warum werde er
blaß? Warum zittere er? Vielleicht sei es besser, das Gespräch abzubrechen,
wenn es ihn
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