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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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Rost aufzehren und ihm wie uns Schmach und Schande bringen. Schmach und
Schande vor den Menschen und auch vor ihr, der verheirateten und ehrbaren Frau.
Er, Hafiz Muhamed, wolle zu Gott beten, daß er den jungen
Menschen von diesem Wege abbringe, und für sich wolle er Vergebung erflehen,
wenn er Falsches gesehen und Schlechtes gedacht habe.
    Er war bedrückt, als er alles
ausgesprochen hatte, er bereute es. Wiederum hätte es in ihm gebohrt, wenn er
geschwiegen hätte.
    Wollte Gott, es wäre Wahrheit, was
dieser Mann spricht, der die Sünde auch dort fürchtet, wo es keine gibt! Oder
vielleicht gibt es sie doch! Warum wäre es unmöglich?
    Dieser häßliche Gedanke wärmte mich
auf, ich führte ihn augenblicks weiter, gab ihm Flügel, entdeckte die
herrlichen Möglichkeiten, die er in sich barg. Ich erinnerte mich an die
schönen Hände der Frau, die Hände, die einander unbewußt streichelten, sich
sehnsüchtig aneinanderpreßten, und an die unverbrauchte Kraft, die aus ihren
kalten Augen wie aus tiefem Wasser blitzte, und an ihre gelassene
Rücksichtslosigkeit, mit der sie für etwas Rache nahm. Auch daran dachte ich,
daß alles schon geschehen, daß Harun schon getötet war, als sie verlangte, daß
ich Hasan preisgäbe. Sicherlich wußte sie nicht von meinem Bruder, vielleicht
hatte sie niemals auch nur seinen Namen gehört, doch ich war dabei, das zu
vergessen, in meinem Gedächtnis blieb sie grausam, so wie ihr Mann, der Kadi,
sie waren für mich zwei blutgierige Skorpione, und mein Herz konnte ihnen
nichts Gutes wünschen. Darum jubelte der Haß in mir: Wollte es Gott! In einem
Augenblick der Schwäche sah ich sie von Jusufs Jugend bezwungen und sah den
Kadi: schmachbedeckt, entehrt vom uralten Recht der Sünde.
    Aber ich verdrängte rasch diesen
Gedanken, ich wußte, er war häßlich, und er erniedrigte mich mit dem Wunsch
nach kleinlicher Räche. Doch er enthüllte mir auch eine wichtigere Sache: Hier
zeigte sich meine Ohnmacht, die Furcht vor ihnen, Furcht und Ohnmacht aber
nähren niedrige Triebe. In Gedanken überließ ich das Gefecht einem anderen und
genoß, abseits stehend, wenigstens für einen Augenblick ihre Niederlage. Doch
was war das für eine Niederlage – sollte es ein Ausgleich für das sein, was ich
verloren hatte?
    Ich schämte mich und erschrak. Nein,
sagte ich mir, fest entschlossen, so will ich es nicht. Wofür ich mich auch
entscheiden mag, ich werde es tun müssen, ich allein. Auch wenn ich
verzeihen, auch wenn ich mich zufriedengeben sollte. So wäre es anständig.
    Ich ließ wieder Mula Jusuf zu mir
kommen, nach dem Gespräch mit Hafiz Muhamed. Als er hereintrat, betrachtete ich
Hasans Geschenk, das Buch von Abul Faradsch im Saffianeinband, mit den vier
eingeprägten goldenen Vögeln.
    „Hast du das gesehen? Ein Geschenk
von Hasan."
    „Wie schön es ist!"
    Er betastete das Leder und die
ausgebreiteten Flügel der goldenen Vögel, betrachtete die wundervollen
Initialen und die reich verzierten Buchstaben, er sah auf einmal wie verwandelt
aus. Diese Schönheit, die ihn seltsam bewegte, stillte zugleich die ängstliche
Unruhe, mit der er ins Zimmer getreten war.
    Ich wußte, ich würde einen
beträchtlichen Vorteil erwerben, wenn ich ihn erst ein wenig warten ließe,
damit er sich bangend unser Gespräch ausmale, damit er fiebrig den Vorrat
seiner Sünden durchwühle, denn jeder hat sie. Doch ich verzichtete auf den
Gewinn, den mir seine Angst brächte. Mir lag mehr am Vertrauen.
    Ich sagte ihm, ich hätte die
Absicht, das Gespräch, das wir kürzlich begonnen hatten, weiterzuführen, denn
seine Unruhe dauere an, und das sei der schlimmste Zustand, ich wisse das aus
eigener Erfahrung: wenn wir uns nicht entscheiden können, wenn wir hin und her
gerissen werden, Foltern ausgesetzt, die wir zuweilen nicht einmal bestimmen
können, und wenn uns jeder Windhauch beugt und zu entwurzeln droht. Ich hätte
den Wunsch, ihm zu helfen, soweit ich das könne und soweit er meine Hilfe
annehme. Ich täte das um seinetwillen, aber auch um meinetwillen, vielleicht
sei ich schuldig vor ihm, ich hätte versäumt, ihn fester an mich zu binden und
ihm so das Gefühl der Sicherheit zurückzugeben. Ich hätte meinen Bruder
verloren, möge er an dessen Stelle treten. Ich wolle nicht verlangen, daß er
mir sage, was in ihm vorgehe, jeder habe das Recht, seine Gedanken für sich zu
behalten, welcher Art sie auch sein mögen, es falle auch nicht immer leicht, zu
sprechen, oft drehten wir uns wie die Wetterfahne

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