Der Derwisch und der Tod
Freund
sei ein Mensch, der sich selbst eine Stütze wünscht, ein halbes Wesen, das die
Ergänzung sucht, auf sich selber sich nicht recht verlassend, ein bißchen
lästig, zwar lieb und teuer, aber notwendigerweise langweilig, weil das
Verhältnis sich abnutzt, wie mit einer Frau. Hasan jedoch war ein Ganzes, immer
frisch und immer anders, klug, unternehmend, rege, sicher in allem, was er
anfaßte. Nichts konnte ich ihm hinzufügen, nichts wegnehmen, ob ohne mich oder
mit mir, er war das, was er war, und er hätte mich nicht gebraucht. Dennoch
fühlte ich mich ihm nicht unterlegen. Einmal fragte ich ihn, wie es komme, daß
er gerade mir seine Freundschaft geschenkt habe. Freundschaft wird nicht gewählt,
erwiderte er, sie ist einfach da, keiner weiß warum, wie die Liebe. Und ich habe ja gar nicht dir
etwas geschenkt, sondern mir selbst. Ich achte Menschen, die auch im Unglück
edle Gesinnung zeigen.
Ich war ihm dankbar für diese
Anerkennung und glaubte an seine Aufrichtigkeit.
Doch wertvoll war mir seine
Freundschaft auch wegen des Hasses, der in mir immer weiter wuchs. Ich weiß
nicht, er hätte gewiß auch allein leben können, so aber war es besser. Auf der
einen Seite war ich schwarz, auf der anderen weiß. Das war mein Ich, geteilt
und doch ganz. Liebe und Haß vermischten sich nicht, sie störten einander
nicht, sie konnten einander nicht töten. Ich brauchte sie beide.
Ich trat in Hasans Leben mit dem
Rechte der Freundschaft und nach seinem freien Willen, aber wenn ich gehofft
oder gefürchtet hatte, daß mir alles, was ihm eigen war, klar und vertraut
würde, so sah ich mich getäuscht. Nicht darum, daß er auch nur irgend etwas
vor mir verheimlicht hätte, sondern weil er ein tiefer und dunkler Brunnen war,
dessen Grund man nicht so leicht sehen konnte. Und nicht darum, daß gerade er
so gewesen wäre, sondern darum, daß die Menschen überhaupt so sind: unergründlich,
sobald wir sie besser kennenlernen.
Er hatte seinen Vater zu sich
genommen, umgab ihn mit einer etwas merkwürdigen, fröhlichen, irgendwie
sorglosen Aufmerksamkeit, so als trüge er der Krankheit des alten Mannes gar
nicht weiter Rechnung, er ging mit ihm um wie mit einem Gesunden, erzählte ihm
von allem, von der Čaršija, von den Menschen, von den Geschäften, von
Heiraten, sogar von den Mädchen, die von Jahr zu Jahr schöner würden,
vielleicht auch deswegen, weil er, Hasan, immer älter werde, aber wenn es so
sei, dann wäre es nur zu bedauern, daß der Vater sie nicht sehe, sie würden ihm
sicher wie die Huris des Paradieses erscheinen. Der Alte tat brummig, aber man
sah ihm an, daß er zufrieden war, er hatte genug davon, daß man ihn bisher der
Krankheit überlassen und zum Sterben bereitet hatte. „Vor Kindern und vor Alten
reden die Leute bloß dummes Zeug", sagte er wütend, und er dachte wohl an
das große düstere Haus, in dem er gelegen hatte. „Einzig der da, mein
dickschädliger Sohn, geht mit mir um wie mit einem Menschen – deshalb, weil er
mich nicht achtet, zum Glück."
Hasan lachte und zahlte ihm mit
gleicher Münze heim, so als hätte er einen Gleichaltrigen, einen gesunden
Menschen vor sich.
„Seit wann achte ich dich
nicht?"
„Seit langem."
„Seitdem ich Stambul verlassen habe
und wieder hierhergekommen bin? Seitdem ich Landstreicher, Viehhändler geworden
bin? Du bist ungerecht, Vater. Ich bin ein kleiner Mann – mit ganz
gewöhnlichem Verstand, bescheidenen Fähigkeiten; die Kinder in der Schule
würden nie etwas über mich lernen."
„Du bist fähiger als viele, die auf
hohen Posten sitzen."
„Das ist nicht schwer, Vater, es
gibt halt viele Dummköpfe auf den Posten. Und was sollte ich mit einem Posten
anfangen und was ein Posten mit mir? So bin ich zufrieden. Aber hören wir auf,
darüber zu reden, nie kommen wir damit zurande. Ich möchte dich lieber etwas
fragen, um deinen Rat bitten. Ich habe mit einem Mann zu tun, der ist
unleidlich, eingebildet, dumm, unredlich, einfältig, blickt von oben auf mich
herab, ich sehe, daß er mich verachtet, es fehlt wenig, und er würde verlangen,
daß ich ihm den Pantoffel küsse, und es genügt ihm nicht, daß ich schweige, daß
ich nicht sage, wie dumm und unredlich er ist, sondern er erbost sich darüber,
daß ich nicht sage, wie klug und ehrenhaft er sei, das schlimmste aber ist, daß
er selbst daran glaubt. Ich bitte dich, was soll ich tun?"
„Was fragst du mich? Schick ihn zum
Teufel – das sollst du tun!"
„Ich hab ihn zum Teufel
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