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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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pflegst", sagte er, weil er nicht offen ihre Trauer
bezahlen und weil er sie vor ihrem Manne rein erscheinen lassen wollte.
    Zwei Wochen lang ging sie wie
abwesend durch Haus und Hof, die Perlenkette um den Hals, sie seufzte und
wartete, blickte zum Himmel und auf das Hoftor. Dann hörte sie auf zu seufzen
und begann wieder zu lachen. Sie hatte es verschmerzt, oder sie versteckte es.
    Der Mann trug länger daran. „Es ist
ganz leer ohne ihn, und er, der Undankbare, hat uns vergessen", meinte er
vorwurfsvoll noch lange nach dem Weggang des Jüngeren.
    Hasan war unzufrieden mit sich
selbst und mit ihnen. Er hatte alles getan, daß es gerade so vor sich gehe, und
jetzt wäre es ihm beinahe lieber gewesen, es wäre anders gekommen. „Da hab ich
mich nun eingemischt, um den Knoten auseinanderzukriegen", sagte er
lachend, „und was habe ich erreicht?" Die Selbstsucht des jungen Burschen
hab ich angestachelt, die Frau hab ich unglücklich gemacht und verhärtet, dem
Mann hab ich ein erbostes Weib aufgeladen, mir selber habe ich wieder einmal
bestätigt, daß ich schlecht handle, sobald ich etwas mit Absicht tue. Zum
Teufel, nichts geht so verkehrt, wie wenn man etwas Gutes mit einem bestimmten
Ziel tut, und nichts ist so dumm wie ein Mensch, der etwas über seinen Leisten
schlagen will."
    „Was geht denn nicht verkehrt, und
was ist nicht dumm?"
    „Ich weiß nicht."
    Ein merkwürdiger Mensch, merkwürdig,
aber lieb. Er war mir nicht ganz klar, aber auch sich selbst war er es nicht.
Unablässig machte er an sich Entdeckungen und suchte weiter. Nur daß er es
nicht qualvoll, auch nicht mißmutig tat, wie andere, sondern mit einer gewissen
kindlichen Offenheit, mit der Leichtigkeit spöttischen Zweifels, mit der er
meistens seine eigenen Worte in Frage stellte.
    Er liebte es, zu erzählen, und er
erzählte schön, die Wurzeln seiner Worte reichten tief in die Erde, und die
Zweige entfalteten sich zum Himmel hinauf. Sie wurden mir zum Bedürfnis und
zur Freude. Etwas in ihnen – ich weiß nicht, was – tauchte mich in Licht, an
manche Geschichten erinnere ich mich kaum noch, aber etwas Betörendes ist mir
von ihnen geblieben, etwas Unalltägliches, Helles und Schönes; es waren
Geschichten aus dem Leben, aber schöner als das Leben.
    „Ich bin ein unverbesserlicher
Schwätzer, ich liebe die Worte, ganz gleich, was für welche, ganz gleich,
worüber." (Ich zeichne, ohne zu ordnen, einfach auf, was er sprach, eines
Nachts, während die Stadt schlief, im Dunkeln.) „Das Gespräch ist eine Klammer
zwischen den Menschen, vielleicht die einzige. Das hat mich ein alter Soldat
gelehrt, gemeinsam gerieten wir in Gefangenschaft, gemeinsam wurden wir in
einen Kerker geworfen, gemeinsam mit der Kette an denselben eisernen Haken in
der Wand gefesselt.
    ‚Wollen wir erzählen oder
schweigen?’ fragte der Soldat.
    ‚Was ist besser?’
    ‚Besser ist's, zu erzählen. So
wird's uns leichter fallen, in dem Loch hier zu verfaulen. So werden wir
leichter sterben.’
    ‚Dann ist's ja dasselbe.’
    ‚Ja, siehst du, es ist doch nicht
dasselbe. Wenn wir erzählen, haben wir das Gefühl, daß wir etwas tun, daß etwas
geschieht, und wir werden einander weniger hassen, und kommen wird's so, wie's
kommen muß, das liegt nicht mehr in unserer Gewalt. Da stießen einmal im Wald
zwei feindliche Soldaten aufeinander, und was sollten sie weiter tun, sie machten sich an das, was sie nun mal
konnten und was ihr Gewerbe war. Sie schossen die Gewehre aufeinander ab und
verwundeten einander, sie zogen die Säbel und hieben aufeinander, einen
Sommertag bis zum Mittag, da hatten sie die Säbel entzweigeschlagen, und als
ihnen nur noch die Messer blieben, sagte der eine Soldat zum andern:
    Wart mal, ruhn wir ein bißchen aus.
Sieh doch, Mittag ist schon vorbei, wir sind ja keine Wölfe, sondern Menschen.
Setz du dich dorthin, ich setz mich hierhin. Bist ein guter Kämpfer, hast mich
müde gemacht.
    Und du mich.
    Tun dir die Wunden weh?
    Ja.
    Auch mir. Leg Tabak drauf, das
stillt das Blut.
    Gut ist auch Moos.
    Sie setzten sich also, plauderten
über alles mögliche, über die Familie, über die Kinder, über das schwere Leben,
alles war bei ihnen ähnlich, manches genau dasselbe, sie verstanden einander,
kamen einander näher, dann standen sie auf und sprachen zufrieden: So, nun
haben wir uns ordentlich ausgeplaudert. Siehst du, sogar die Wunden haben wir
vergessen. Und jetzt wollen wir zu Ende bringen, was wir angefangen haben. –
Und sie zogen die

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