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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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Messer und brachten einander zur Ruhe.’
    Immer vergnügt war er, mein Gefährte
von der Kerkerkette, und mit seiner spöttischen Lehre heiterte er mich auf. Er
heiterte mich auf und ermutigte mich. Vielleicht hätte ein anderer erzählt,
die beiden Soldaten im Walde wären als Freunde voneinander geschieden, und das
wäre eine häßliche Lüge, selbst wenn es wirklich geschehen wäre. So aber, mit
dem bitteren Ende, fand ich die Geschichte wahrhaftig, vielleicht am meisten
deswegen, weil ich gefürchtet hatte, er würde die beiden besser darstellen, als
sie waren. Und wiederum (diese Folgerung konnte ich mir nicht einmal selbst
vernünftig erklären), gerade weil das Ende so grausam wahrhaftig war, hielt
sich in mir der kindische Gedanke, die beharrliche Hoffnung, daß die beiden
dennoch friedlich auseinandergegangen wären. Und wenn nicht diese beiden
Soldaten, so vielleicht zwei andere, denn in der Geschichte wäre es ja beinahe
so gekommen. Freilich war das meinem Soldaten nicht wichtig; er erzählte,
damit er nicht allein wäre. Er war weit genug durch die Welt gekommen, hatte
mancherlei gesehen und verstand es, fesselnd, lebhaft, irgendwie vertraulich
und mit Genuß zu erzählen, und er zerstreute damit meine Angst, daß mir mit ihm
schwerer zumute wäre, als wenn ich allein im Kerker säße. Nachts wachte ich
auf, horchte auf seinen Atem.
    ‚Schläfst du?’ fragte ich. ‚Erzähl
was, wenn du nicht schläfst.’
    ‚Und was tun wir, wenn wir alles
erzählt haben?’
    ‚Dann erzählen wir's noch einmal,
anders herum.’
    ‚Und wenn wir's auch anders herum
erzählt haben?’
    ‚Dann sterben wir.’
    ‚Zufrieden wie die beiden Soldaten.’
    ‚Zufrieden wie die beiden Narren,
die ihre Pflicht getan haben.’
    ‚Du bist verbittert’, sagte er ohne
Vorwurf.
    ‚Du nicht?’
    ‚Nein, warum sollte ich's sein?
Siehst du, ich bin in den Krieg gezogen, das heißt, ich erklärte mich bereit,
verwundet, gefangen, getötet zu werden. Geschehen ist das leichteste von
allem, warum sollt ich da verbittert sein?’
    Sobald seine leise Stimme murmelte,
war die Nacht weniger öde. Er baute zwischen mir und sich eine Brücke von
Spinnweb, eine Brücke von Worten, im Bogen über uns aufsteigend, schwangen sie
sich von dem einen zum andern, strömten aus und ein, er war die Quelle, ich die
Mündung. Ein Geheimnis wurde zwischen uns gesponnen, eine köstliche Verrücktheit,
die sich Gespräch nennt, bewirkte das Wunder: Zwei tote Klötze, die
nebeneinander lagen, wurden auf einmal lebendig und waren nicht mehr ganz
einsam. Als man uns gegen feindliche Gefangene austauschte, trennten wir uns
ohne Bedauern. Er würde immer Zuhörer finden, denn er brauchte sie, und auch
ich begann sie nun zu suchen. Die Menschen rückten mir näher, des Sprechens
wegen. Nicht alle, natürlich. Manche sind taub für fremde Worte, sie sind ein
Unglück für sich selbst und für die anderen. Aber immer muß man es versuchen.
Du wirst fragen: Wofür? Für nichts. Damit es weniger öde und leer sei. Gleich
zu Beginn,als ich den Viehhandel aufnahm, hörte ich von einer Frau in
Višegrad, der Witwe eines Spahijas [28] . Sie hatte niemanden außer einem Sohn, einem
Jüngling von zwanzig Jahren. Du kannst dir vorstellen, wie sie ihn liebte, er
war ihr Einziger, und ihm galt ihr ganzes Leben. Als der Sohn im Kriege fiel,
brachte das die Mutter um den Verstand, zuerst glaubte sie es nicht, und dann
schloß sie sich im Zimmer ein, aß nur schwarzes Brot und trank Wasser, schlief
auf dem bloßen Fußboden und legte sich jeden Abend einen schweren schwarzen
Stein auf die Brust. Sie wollte sterben, aber sie hatte nicht die Kraft, sich
selbst zu töten. Wie zum Trotz aber wollte der Tod nicht kommen. Zwanzig Jahre
lebte sie so, von schwarzem Brot und Wasser, mit dem schweren Stein auf der
Brust, nichts als Haut und Knochen, wurde grau und schwarz, wurde wie harte
Rinde, hätte sie am Balken gehangen, sie hätte nicht schlimmer ausgesehen,
aber sie lebte. Mich beschäftigte vor allem der schwarze Stein, den sie sich
jede Nacht auf die Brust legte, irgendwie spürte ich daran am deutlichsten, wie
groß ihre Qual war. Er führte mich dann auch zu ihr, der Stein. Ihr Haus war groß,
es hatte ein Obergeschoß, war ungetüncht, verfallen, um das Haus herum ein
weitläufiger Besitz, seltsamerweise gut bearbeitet, drin im Hause nur eine alte
Magd, seit Jahren diente sie schon der Frau, und auch sie hatten die Kräfte
verlassen. Sie erzählte mir, es gebe keine

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