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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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die
Geschichte mit ihrer Lehre auf mich zugeschnitten sei, daß sie mir als
Muster dienen solle; vielleicht meinte er, auch ich müsse Kinder und junge
Menschen um mich sammeln und ihnen den Weg zu einem glücklichen Leben weisen.
Es klang naiv, war gegen seine Gewohnheit, widersprach allem, was ich von ihm
wußte. Aber er hatte bei dem alten Soldaten im Kerker eine gute Schule gehabt
und die Lehren behalten.
    Er lächelte – nicht gerade
triumphierend, aber auch nicht verlegen.
    „So war es auch wieder nicht, daß
alles ein gutes Ende genommen hätte. Den Bauern kam die Unterstützung für die
Kinder sehr gelegen, sie fingen an zu trinken und vertranken dann auch ihr eigenes
Hab und Gut. Das bekamen auch ihre Frauen zu spüren, denn die betrunkenen
Bauernhände schlugen härter, mörderischer zu, und die Bäuerinnen verwünschten
die Witwe. Dasselbe taten die Männer, denn nun verlangte man von ihnen, daß sie
die Kinder nicht mehr zum Viehhüten und zu den Feldarbeiten schickten. Die
Kinder kamen selten in die Schule, auch der Lehrer war nicht einer der besten,
sie lernten kaum etwas, und wenn sie doch etwas lernten, hatten sie es nach
ein, zwei Jahren vergessen, darum sagten die Leute im Dorf: Was ist das für
eine Schule, da sitzt man sich beim Lernen den Hintern wund, und ein Jahr
darauf hat man alles vergessen. Die Witwe des Spahijas hatte zwanzig Jahre zum
Tode hin gelebt, und sie starb im dritten Frühjahr nach unserer ersten
Begegnung, bei windigem, naßkaltem Wetter auf mich wartend, weil ich unterwegs
länger, als ich geglaubt hatte, aufgehalten worden war."
    „So nahm alles ein schlimmes
Ende?"
    „Nein. Warum? Sie starb, während sie
auf den Freund ihres Sohnes wartete, verstehst du? Voll schöner Worte, darauf
brennend, von ihrer Liebe zu erzählen, und sie dachte nicht an den Tod. Die
Bauern lebten bald wieder so wie früher, ohne
Schnaps und ohne Unterstützung, denn die Erben teilten sich den Besitz. Im Dorf
aber hielt sich eine schöne Erinnerung an die Frau, alles andere wurde
vergessen. Es blieb die Geschichte: Da lebte einmal in diesem Hause eine
wunderliche gute Frau. Freilich, keiner hat etwas davon, aber es ist
schön."
    Mich wühlte diese Geschichte auf,
die herb und überraschend war wie das Leben und ungreifbar wie das Leben. Und
es wühlte mich auf, wie Hasan jenes peinigende Wirbeln und Strudeln des Lebens,
das der Mensch in Bahnen leiten muß, um nicht wahnsinnig zu werden – wie Hasan
das spöttisch hinnahm oder gelassen nicht hinnahm.
    Ich lächelte, um die mögliche
Bitternis zu mildern und das Unbehagen, das die Mahnung hervorrufen könnte:
    „Halt doch an etwas fest, um des
lieben Gottes willen, entscheide dich für etwas, such dir eine Stütze. In allen
Dingen baust du auf nichts."
    „Du hast recht. In gar manchen
Dingen bau ich auf nichts. Ist das schlimm?"
    „Es ist
auch nicht gut."
    „Also ist es nicht gut, aber auch
nicht schlimm. Und auf etwas bauen, das ist gut. Doch kann das auch schlimm
sein?"
    „Das
verstehe ich nicht."
    „Gibt es
etwas, worauf du fest baust?"
    „Ich baue
fest darauf, daß es Gott gibt."
    „Siehst du, und die nicht an Gott
glauben, bauen genauso fest darauf, daß es ihn nicht gibt. Vielleicht aber wäre
es gut, sie bauten nicht so fest darauf."
    „Ja. Und was
folgt daraus?"
    „Nichts."
    Aber ich bereute es schon, ihn
gefragt zu haben – ich hatte nicht die Falle der tückisch-schlauen Logik
bemerkt. Was für ein kluger und gefährlicher Gedanke! Und er hatte mich
spielerisch zu ihm geführt.
    Er fuhr gut mit seinem
Auf-nichts-Bauen.
    Es störte mich nicht, daß es so war,
nichts störte mich mehr, was von ihm kam. Ich hatte ihn so liebgewonnen, daß
ich ihm alles, auch wenn ich mich wehrte, gelten ließ. Er war mir teuer, auch
wenn ich meinte, er habe unrecht.
    Ein einziger Tag ohne ihn erschien
mir leer und lang. Friedlich wuchs ich in seinem Schatten.
    Sein Vater sah, beseelt von neu
belebter Liebe, ohne Angst allem entgegen, was ihn ereilen konnte.
    Uns beiden
war Hasan der notwendigste Mensch auf der Welt.
    Darum tat es mir weh, als ich
erfuhr, daß er auf Reisen gehe.
    Ich suchte ihn daher auf, einen
ganzen Tag und eine ganze Nacht hatte ich ihn nicht gesehen. Er saß am Bett
seines Vaters und spielte mit ihm Tavla.
    Der alte
Mann grollte, knallte die Würfel zwischen die schwarzen und weißen
Dreiecke:
    „Puh,
zerspringen sollst du, wenn du nicht besser fällst! Fazlija", beklagte er
sich bei dem Knecht. „Der Würfel gönnt mir

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