Der Derwisch und der Tod
herausholte, war der Bericht eines ausländischen Kundschafters!
Er stand vor mir und wartete. Ich
las den Brief und erfuhr, was ich auch vorher gewußt hatte: daß die Ausländer
über das schreiben, was sie in einem fremden Lande sehen und hören, und alle
wissen das, und alle tun das, und wiederum entrüsten sich alle, wenn es zutage
tritt. Ich las und atmete auf – da stand nichts über Hasan, was auf ihn
Verdacht werfen könnte, auch nichts über mich, was mich kränken könnte. Der
Dubrovniker schrieb vor allem über den Wesir und über die Verwaltung des Landes.
Zwar einigermaßen zutreffend, aber häßlich zu lesen. („Das Chaos, welches von
den Ämtern ausgeht, hat alle Kraft des Landes ausgezehrt ...Oh, sähet Ihr,
wie dumm diese Leute sind, diese Kajmakame [35] und Muselime, Ihr würdet Euch
verwundert fragen, wie es möglich ist, daß solche Menschen, die keineswegs auch
nur zur anständigen Gesellschaft zu rechnen wären, die Macht innehaben können ... Ein Bespitzelungsnetz, gebildet aus Beamten und geheimen Zuträgern, ist
über Bosnien ausgebreitet wie in keinem Staate des Okzidents ... Der Wesir hat
ein System des Unrechts eingeführt und seine Person mit dem Türkischen Reiche
gleichgesetzt, wer seinen Worten nicht sogleich mit Eifer zustimmt, der ist
ein Feind ... Zum allgemeinen Schaden bestimmt, versetzt, entläßt er die
Beamten und regiert das Land nach seiner Willkür; über diese Gesetze hat er
sich zu mehreren Malen geäussert, er kenne sie nicht ... Verhaßt ist er
Mohammedanern wie Christen. Indes wird ihn die Hohe Pforte nicht so leicht
seines Amtes entheben, denn er hat sich in sieben Jahren so über die Maßen
bereichert, daß er sich mit seinen Dukaten in Konstantinopel hält ... Mit ihm
zugleich hält sich seine ganze Sippe ... Mittels dieser sittenlosen, rohen,
verkommenen Gesellschaft sitzt er dem Volk auf dem Nacken, so daß keiner auch
nur zu mucksen wagt ... Es ist ganz natürlich, daß dieses System des Terrors
und der Polizei Bosnien zu einem toten Glied des Türkischen Reiches machen
mußte, denn es ist soweit gekommen, daß der Freund nicht mehr dem Freunde
traut, der Vater nicht mehr dem Sohne, der Bruder nicht mehr dem Bruder, einer
nicht mehr dem andern, weil jeder Osmans schwarze Männer fürchtet und schon
glücklich ist, wenn man nur im Lande nichts
von ihm hört ..." Auch der Aufkauf der beschlagnahmten Güter in der
Posavina war erwähnt, und der Preis, für den sie gekauft wurden – eine
Bagatelle –, und die Namen der Freunde und Günstlinge aus der Sippe des
Wesirs, alles, was sie genommen, bekommen, an sich gerissen hatten. Nicht mit
geschlossenen Augen und verstopften Ohren saß der Lateiner hier in Bosnien!)
„Schrecklich", sagte ich, des
Piri-Vojvodas wegen, der mit Spannung mein Urteil erwartete.
„Man muß ihn verhaften."
„Es ist nicht leicht, einen
Ausländer zu verhaften."
„Kann denn ein Ausländer tun, was
ihm einfällt?"
„Nein. Ich werde mich mit dem Mufti
beraten."
„Berate dich. Aber vorher muß man
ihn verhaften."
„Vielleicht. Ich werde sehen."
Er ging hinaus – höchst unzufrieden.
Ein Unglück, dieser Mensch! Hätte er
nicht die Nase dort hineingesteckt, wo er nichts zu suchen hatte, könnte ich
wenigstens in dieser Sache ganz ruhig sein, könnte sagen: Ich weiß nichts, und
es geht mich nichts an. Jetzt wußte ich es, und es mußte mich angehen.
Freilich, was ich auch tun mochte, ich konnte mich irren, und nichts half mir
mein Gewissen, auf das ich so gebaut hatte. Das war einer jener Augenblicke,
die einem vor der Zeit das Haar ergrauen lassen.
Der Mufti wollte überhaupt nichts
davon hören, daß man am Bajram über dienstliche Dinge sprechen könne. Er hätte
zwar auch ohne den Bajram davon nichts hören wollen, doch mir kam es nicht auf
seine Meinung, sondern auf seinen Namen an.
Der Muselim war nicht zu Hause. Er
sei in die Čaršija gegangen, sagte man mir. Ich fand ihn in seinem Amt. Am
Bajram! Alles wußte er schon. „Man muß ihn verhaften", sagte er ohne
Zögern.
„Und wenn es sich als Fehler
erweist?"
„Werden wir uns entschuldigen."
Mich verwunderte seine
Entschlossenheit – eine ganz ungewohnte Erscheinung. Am besten wäre es
gewesen, nicht auf seinen Rat zu hören, denn ich wußte, er wünschte mir nichts
Gutes. Wenn ich aber auf ihn hörte, trugen wir gemeinsam die Verantwortung.
„Es scheint das beste zu sein."
Ich stimmte zu, war aber nicht
überzeugt.
Der Piri-Vojvoda befreite mich von
der
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