Der Derwisch und der Tod
Qual des Entscheidens, belastete mich aber mit einer anderen. Er kam, uns
zu melden – verbittert darüber, daß es hatte geschehen können, und zufrieden,
weil sich sein Verdacht nun als gerechtfertigt erwies –, daß der Dubrovniker
mit Hasans Hilfe aus der Stadt geflohen sei. Sie hätten zu Fuß die Stadt
verlassen, draußen hätten Hasans Leute mit Pferden auf den Dubrovniker
gewartet. Hasan sei allein zurückgekehrt.
„Üble Sache", meinte der
Muselim und wiegte den Kopf.
Alles an ihm wirkte besorgt: die
Stimme, die eingezogenen Schultern, die Hand, die übers Kinn strich, alles
außer einem kaum wahrnehmbaren Lächeln um die dünnen Lippen. Es müßte seltsam
zugehen, wenn er nicht dem Valija berichtete, er sei für Verhaftung gewesen,
aber leider habe nicht er es zu entscheiden.
Der Piri-Vojvoda nahm schon alle
Schuld von sich und schob sie weiter: „Ich war gleich fürs Verhaften."
„Üble Sache", wiederholte der
Muselim, mir gleichsam einen Keil in den Schädel hämmernd.
Und wie übel! Das wußte ich auch
selbst. Jetzt lag die Schuld nicht mehr beim Dubrovniker, denn er war nicht
mehr da. Schuldig waren jetzt die Zurückgebliebenen. Schuldig war Hasan, und schuldig
war ich, weil ich Hasans Freund bin und weil ich zuließ, daß der Dubrovniker
sich davonmachte. Schuldig für die Tat anderer, für die Freundestreue anderer
und für die Dummheit anderer. Schuldig vor dem Valija, der mein Beschützer
war.
Wir schickten sofort nach Hasan, und
ich malte mir schon bangend aus, wie er erscheinen würde, gekränkt darüber, daß
wir ihn verhören, verächtlich, auffahrend; doch ich hatte keine Gelegenheit,
ihm einen Wink zu geben, ihn zur Vorsicht zu mahnen, denn Jähzorn würde ihm
nicht helfen. Ich hoffte nur, er würde seine eigene und meine Lage verstehen,
und ich beruhigte mich vollkommen, als ich dann seine Antworten hörte. Jawohl,
sagte er, der Dubrovniker habe die Heimreise angetreten, er habe es eilig
gehabt, weil die Nachricht gekommen sei, seine Mutter liege im Sterben. Er,
Hasan, habe ihm Knechte und Pferde gestellt, weil in der Poststation keine
ausgeruhten Pferde zur Verfügung gestanden hätten. Und er habe ihn bis vor die
Stadt begleitet, so wie er immer seine Freunde begleite. Sie hätten sich über
alltägliche Dinge unterhalten, über so alltägliche, daß er sich ihrer kaum
erinnere, doch wenn es nötig sei, werde er sich gewiß erinnern, obgleich er
sich nicht vorstellen könne, daß das irgendwelche Bedeutung habe. Sein Freund
habe ihm gegenüber keinerlei Bericht erwähnt. („Kundschafterbericht!"
erläuterte der Muselim.) Ihm erscheine das sehr merkwürdig, denn der Mann habe
sich nur mit dem Handel beschäftigt und sich von jeglicher anderen Sache
ferngehalten. Auch ihm, Hasan, habe er zugeredet, er möge Viehherden und Warentransporte
lieber nach Dubrovnik richten als nach Split oder Triest, sollte er sich wieder
einmal damit beschäftigen. Mit den anderen Dubrovnikern sei er nicht gereist,
weil er den Brief von zu Hause erst bekommen habe, als die schon unterwegs
waren (man könne das leicht prüfen, denn der Mann, der den Brief gebracht habe,
sei noch in der Herberge), und er sei dann in großer Eile aufgebrochen und habe
nur die nötigsten Sachen mitgenommen.
Als wir ihm den Bericht zeigten,
überflog er ihn und schüttelte den Kopf, er meinte, es würde ihn sehr
wundern, wenn das sein Freund geschrieben haben sollte, er wisse es zwar
nicht, denn sie hätten einander nie geschrieben, und so könne er auch die
Handschrift nicht erkennen, aber gewöhnlich lasse sich die Denkweise erkennen,
und gerade die Denkweise seines Freundes sehe er hier nicht. Wenn er aber
wirklich der Verfasser sei, und es sehe ganz so aus, als treffe das zu, so
müsse der Mann zwei Seelen haben, und diese hier habe er ihm, Hasan, bisher
nicht gezeigt. Er lachte, während er den Brief las, und meinte, es wäre ihm gar
nicht recht, als Genarrter dazustehen, wenn aus der Sache irgendein Schaden
erwachsen könnte. Zum Glück könne das aber nicht geschehen, denn alles, was
hier geschrieben stehe, könne jedermann über jedes Land sagen, und keiner
wundere sich mehr über solche Sachen. Es stehe ihm nicht zu, uns einen Rat zu
geben, es widerspreche auch seiner Gewohnheit, aber er glaube, ohne Not solle
man ein Feuer weder anfachen, noch solle man es ausblasen, wenn es von selbst
erloschen sei. Schmach und Kränkung seien vermieden, denn Schmach sei nicht
das, was getan, und erst recht nicht das, was nicht
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