Der Derwisch und der Tod
läßt.
Sie werden ernüchtern, bestimmt,
wenn alles vorbei ist, und sie werden sehen, wie teuer sie ihr Edelmut zu
stehen kommt. Aber alles wird so schön werden, daß sie keine Gelegenheit zur
Reue haben. Sie werden geblendet sein vom Stolz auf das Lob der Menschen, die
das keinen einzigen Groschen kostet.
Und ich sah immer mehr ein, daß die Macht eine
schwere und komplizierte Angelegenheit ist. Ich plagte mich mit mühseligen Dingen
ab, wehrte mich und griff an, wühlte mich gleichsam ein, mit Händen und Füßen
arbeitend, verbreitete Angst und litt Angst, spürte, wie mit den Schwierigkeiten
auch meine Macht immer größer wurde, weil ich die Schläge nicht mehr abmessen
mußte, aber mit seltsamer Wehmut und unerklärlichem Neid dachte ich an Hasans
Gesicht, an die Freude, mit der er auf eine sichere Stütze verzichtet, an die
Hoffnung, die er in den Herzen der Menschen geweckt hat. Das ist nicht sehr
ernst zu nehmen, und dennoch sieht es nach einer ungeahnten Möglichkeit aus.
Dann gab es ein paar wichtige
Ereignisse.
(Wäre ich müßiger, wie einst, so
spürte ich das Bedürfnis – und es würde mir Genugtuung bereiten –, darüber
nachzudenken, daß diese Ereignisse im Grunde anderen ganz ähnlich sind, wichtig
sind sie nur geworden, weil sie bestimmte Menschen betreffen, was wiederum
bedeutet, daß die Ereignisse nicht für sich wichtig sind, sondern durch das
Interesse, mit dem wir sie aus den anderen herausheben. Oder etwas Ähnliches.
Es liegt ein besonderer Genuß in solchem Deuten, so als stünden wir über den
Dingen. Jetzt aber stecke ich tief in ihnen, und mir bleibt nur die Zeit, sie
zu vermerken.)
In der Posavina stieß Hasan an dem
Tag, der für den Verkauf der beschlagnahmten Güter angesetzt war, auf ein
unerwartetes Hindernis. Der Ausrufer erklärte, daß ein Beauftragter des Wesirs
im Namen des Wesirs alles kaufen werde, und das bedeutete gerade soviel wie die
Anordnung, daß keiner mitbieten dürfe. Ein Hindernis war das jedoch nur nach meinen
Auffassungen, nach denen Hasans war es keines. Ohne sich um den Wunsch des
Wesirs zu kümmern, kaufte er einige Güter, das übrige, weitaus das meiste,
nahm der Vertreter des Wesirs für ein Nichts. Hasan ließ auch Geld zurück,
damit man die Häuser schlecht und recht instand setzen und Lebensmittel für die
Familien kaufen konnte, die hier wohnen würden. Darauf kehrte er zufrieden in
die Stadt zurück.
„Wozu hattest du es nötig, dich mit
dem Wesir zu verzanken?" fragte ich ihn – im Scherz, denn ich glaubte
nicht, daß der Ärger des Wesirs lange anhalten würde. „Fürchtest du denn
wirklich niemanden?"
Die Antwort kam von dem Alten. Er
ging, in einen pelzgefütterten Mantel gehüllt, langsam im Zimmer auf und ab.
„Gott fürchtet er wenig, den Sultan
überhaupt nicht und den Wesir gerade soviel wie meinen Rappen."
„Warum sollt ich jemanden
fürchten?" meinte Hasan, den Spieß wendend. „Ich habe dich. Du würdest
mich doch schützen."
„Besser ist es, wenn du gar keinen
Schutz brauchst."
„Der Derwisch antwortet nie
geradezu", bemerkte der alte Mann lächelnd.
Hasan erwiderte ernsthaft: „Er hat
recht. Besser ist es, ich brauche gar keinen Schutz. Wenn ich mir selber Schutz
genug bin. Es ist nicht recht, einen Freund mit den Nöten zu belasten, die ich
selbst schaffe. Wer nicht schwimmen kann, soll nicht ins Wasser springen und
darauf bauen, daß ihn schon jemand herausziehen wird."
„Aber er wäre kein Freund, wenn er
ihn nicht herauszöge. Du verstehst die Freundschaft als Freiheit, ich als
Verpflichtung. Mein Freund ist dasselbe wie ich. Wenn ich ihn schütze, schütze
ich mich. Muß ich das erst sagen?"
„Nein. Aber mein Vater sollte lieber
erzählen, was er mir angetan hat. Weißt du, daß er Gold vor mir versteckt hat?
Tausend Dukaten! Ich habe sie nach meiner Rückkehr gefunden, in einer Truhe,
und die war verschlossen."
„Selber hab ich dir's gesagt."
„Gesagt hast du's, als es zu spät
war."
„Warum hätt ich's verstecken sollen?
Und vor wem? Es gehört dir, mach was du willst. Ins Grab nehm ich's nicht
mit."
Ein Prachtkerl, der Alte, sein
Verstand arbeitet noch!
„Und auch wenn ich's versteckt
hätte, wär das so schlimm? Hab's aber nicht versteckt, hab's einfach vergessen.
Ist doch kein Wunder – bei einem alten Kopf!"
Aus der geringen Beharrlichkeit, aus
dem Lächeln, mit dem Hasan die naive Verteidigung des alten Mannes hinnahm,
ohne daß der auch nur versucht hätte, eine überzeugendere
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