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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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Erklärung
anzubringen, aus der beiderseitigen heiteren Duldsamkeit, mit der sie den
scheinbaren Streit beilegten, glaubte ich schließen zu können, daß sich auch
Hasan mit dem, was geschehen war, ganz gerne zufrieden gab. Für die Seele war
etwas getan, und Dukaten waren geblieben. Und auch die Familie störte nicht
mehr im Hause.
    Immerhin, andere gaben nicht einmal
soviel. Und solcher Edelmut, mit Maß, vielleicht auch mit Bedauern, ist mir
irgendwie verständlicher, vertrauter. Er ist menschlicher, er hat eine Grenze,
die man absehen kann. Er erschreckt nicht durch Selbstmördertum, kränkt nicht
durch Maßlosigkeit. Unbedachte Großzügigkeit ist die Verschwendungslust eines
Kindes, das alles verschenkt, weil es keinem Ding Wert zu geben weiß.
    Am zweiten Tag des Ramazan [33] -Bajrams
kam der Piri-Vojvoda [34] , der verdächtige Personen zu beobachten hat – und für ihn
war das jedermann – in die Tekieh und brachte mir einen
Brief, den der Dubrovniker Luka, Hasans Freund, an den Dubrovniker Senat
gerichtet hatte. Der Brief war im Besitz Dubrovniker Kaufleute gewesen, die am
Morgen mit einem Warentransport die Stadt verlassen hatten.
    „Warum hast du das genommen?"
    „Lies, dann wirst du sehen, warum
ich's genommen habe."
    „Ist es wichtig?"
    „Lies, dann wirst du sehen, ob es
wichtig ist."
    „Wo sind die Kaufleute?"
    „Fort. Lies, dann sag mir, ob sie
fort mußten."
    Der Teufel selbst hatte mir diesen
Menschen aufgeladen, diesen dummen, halsstarrigen, unbestechlichen,
mißtrauischen Kerl, der sicher auch die eigene Mutter mit forschendem Blick
verfolgte. Ohne etwas zu verstehen, aber jeden aller möglichen Dinge
beschuldigend, überhäufte er mich mit Meldungen, die er alle im Gedächtnis
behielt – er erkundigte sich später nach jedem einzelnen Fall, wollte wissen,
wie er entschieden sei. Die Hälfte aller Plagen, und ich hatte ihrer genug,
wurde mir von ihm beschert, und da ich ihn als eine Strafe Gottes betrachtete,
sagte ich mir schon, daß wohl jeder seinen Piri-Vojvoda habe. Nur war meiner
der am schwersten zu ertragende. Ich hatte sogar den Verdacht, daß man ihn mir
absichtlich untergeschoben hatte, als Untergebenen, der mich beobachten würde,
und sie hätten es nicht richtiger treffen können. Er gehörte im Grunde zu
nichts und niemandem, und er diente keinem, nur seiner Dummheit, das freilich
genügte, um mich dreimal täglich aus der Haut zu bringen. Er selbst indessen
war unverwundbar. Vergebens hatte ich versucht, ihn zur Vernunft zu bringen,
am Anfang; später gab ich es auf. Er hörte mir gar nicht richtig zu, stand hoch
erhobenen Hauptes, mit anmaßender und verächtlicher Miene oder auch aufrichtig
verwundert, an meiner Vernunft und meiner Rechtschaffenheit zweifelnd und mich
weiter mit seiner unerträglichen Gewissenhaftigkeit quälend. Es blieb mir nur,
ihn zu erwürgen, wenn das Maß meines Zornes einmal voll wäre, oder Hals über
Kopf davonzulaufen, wenn ich es nicht mehr aushielte. Das schlimmste war, daß
man tausend Anlässe finden konnte, ihn einen Narren zu nennen, aber keinen
einzigen, ihn der Unredlichkeit zu überführen. In ihm raste das Prinzip einer
verzerrten Gerechtigkeit und des leidenschaftlichen Wunsches, daß alle
Menschen bestraft würden, ganz gleich wofür, und alle meine Strenge genügte ihm
nicht. Andere warfen mir Härte vor, er verübelte mir meine Nachgiebigkeit.
Meine Feinde griffen das eine wie das andere auf.
    Er berichtete, Hajduken hätten die
Dubrovniker Kaufleute in den Bergen überfallen, und während die sich wehrten
und die Angreifer zurückschlugen, sei ihnen ein Pferd davongelaufen, das, weil
es zur Stadt zu rückwollte, in ein Dorf geraten sei. Die Dubrovniker hätten es
umsonst gesucht und seien dann weitergezogen, weil sie das Gebirge hinter sich
bringen wollten, ehe es Nacht wurde. Der Piri-Vojvoda habe von dem Pferd gehört
und es gleich ausfindig gemacht, er habe die Bauern veranlaßt, alles
zurückzugeben, was sie genommen hatten – ich glaube wohl, daß sie ihm eher noch
ihr Eigenes dazugaben, als daß sie etwas Fremdes behalten hätten. So fand er
auch den Brief, er trug ihn zum Wechsler Salomon und ließ ihn sich vorlesen,
denn er kennt die Lateinschrift nicht.
    Ganz wirbelig machte mich diese
verschlungene Geschichte und der Vorgang, der kaum etwas Greifbares aufwies und
den jeder vernünftige Mensch mit einer Handbewegung abgetan hätte, der
Piri-Vojvoda aber trieb, hinter Schatten herjagend, die Sache zu Ende, und was
er

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