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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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es
ihr recht wäre. Abermals wies sie mich ab – ohne Erklärung. Ich erfuhr, daß sie
wirklich schwanger sei. Und daß sie aufrichtig um ihren Kadi trauere. Ich hatte
geglaubt, ich sehe ihn mit meinen Augen, doch sie hatte offenbar in ihm etwas
gefunden, was sonst keiner in ihm fand. Oder er war zu ihr ebenso zärtlich, wie
er zu jedem anderen erbarmungslos war, wobei sie nur die eine Seite an ihm
kannte. Ihre Witwentrauer würde vorübergehen, aber ich hatte mich zu früh
geregt. Schade. Hätte ich sie geheiratet, so hätte mich das am besten vor den
Beschuldigungen geschützt, und zugleich wäre ich Glied einer angesehenen
Familie geworden, die mir Schutz gewährt hätte. Nun zeigte sich, daß mich Ajni
Effendi auch noch aus dem Grab heraus behinderte.
    Mein guter Hasan ist gänzlich
wahnsinnig geworden. Ich erkläre mir das damit, daß alles, was Eingang in ein
Menschengehirn findet, zur Leidenschaft werden kann. Das ist überhaupt keine
Erklärung, aber es ist die einzige. Ein paarmal reiste er in die Posavina,
einzig von seinem Gedanken beherrscht. Ich hörte, daß er beschlagnahmte Güter
der aufständischen Posaviner kaufte. Ich erkundigte mich bei seinem Vater, ob
das stimme. Der Alte lächelte listig.
    „Es stimmt, wir kaufen. Es ist eine
gute Sache, sie werden billig verkauft."
    „Hast du Geld?"
    „Ja"
    „Warum leihst du dir dann
welches?"
    „Du weißt alles. Ich will möglichst
viel kaufen, darum leihe ich's. Eine große Sache, wie ich sie nie im Leben
gemacht habe."
    „Du nimmst das Gut der
Ärmsten?"
    „Jawohl."
    Er lachte fröhlich wie ein Kind. Das
würde ihn auf die Beine bringen. Auch er war närrisch geworden, aus Liebe zum
Sohn. Die Ursachen sind verschieden, die Folgen sind dieselben. Sie würden sich
zugrunde richten.
    „Das wird die Krankheit von dir
nehmen", sagte ich, und auch ich lachte fröhlich wie er, fröhlich, wie ich
seit langem nicht war.
    „Ich fühle, wie ich gesund
werde."
    „Du wirst gesund und arm sein. Ist
das Glück?"
    „Ich werde gesund sein und nichts zu
essen haben. Ich weiß nicht, ob das Glück ist."
    „Wer wird dich ernähren? Der Sohn
oder die Tochter? Oder ich – ich kann dir zu essen aus der Tekieh schicken.
Auch so kann man leben."
    „Ich werde mich vor der Armenküche
anstellen."
    Wir lachten, wir alberne Kinder, wir
lachten, als wäre das der schönste Spaß, als wäre es etwas Kluges und
Nützliches. Wir lachten, weil ein Mensch sich zugrunde richtete.
    „Du weißt es, alter
Schlauberger?" fragte er mich. „Woher weißt du's? Warum glaubst du nicht,
daß ich eine gute Sache betreibe?"
    „Ich weiß es. Wie könntet ihr beide
etwas Vernünftiges tun? Besonders wenn der Sohn dir's eingeredet hat. Es ist
nicht klug, aber es ist schön."
    „Jawohl, mein Sohn hat mir's
eingeredet. Dann ist es sowohl klug als auch schön. Hättest du einen Sohn, so
wüßtest du's."
    „Ich wüßte dann, wie man aus
Verlusten Freude macht."
    „Ist das wenig?"
    „Nein."
    Gewiß wird es sie nicht ganz
mittellos machen, dieses Aufkaufen beschlagnahmter Güter, auf denen sie die
ansiedeln wollen, die man von Haus und Hof vertrieben hat. Alijagas Berechnung
wird über die eigene Begeisterung wie über die des Sohnes siegen, trotzdem wird
es einen großen Schaden geben, denn Hasan wird sich bemühen, noch viel mehr
Dummheiten anzustellen, da er einmal begonnen hat. Er tut alles überstürzt,
mit einem Schwung, der nicht lange anhält. Jetzt ist er überzeugt, eben dies
sei das einzige, was es zu unternehmen gelte, und solange er darin nicht
ermattet, solange er dessen nicht überdrüssig ist – das wird freilich bald der
Fall sein –, wird er dem Vater und sich selbst noch genug Schulden aufhalsen.
    Ich habe nie etwas besessen, auch
nie gewünscht, etwas zu besitzen, aber in meinem bäuerlichen Blut lebt noch die
Angst vor dem Verschleudern, es ist der Anfang der Ausweglosigkeit. Dies aber
sieht nach einer Trunkenheit aus, in der der Mensch kein Maß kennt, nach
übergroßem Schwung und erhitztem Blut, das einem kaum erlaubt, innezuhalten,
nach gedankenloser Schwärmerei, die die Folgen außer Acht läßt, nach dem sich
selbst zugrunde richtenden Džemail. Dennoch, hinter allem, was mein Verstand
nicht billigen kann, spüre ich eine überschwängliche Heiterkeit und einen kaum
greifbaren Anlaß zu tiefer Freude. Weil es unüberlegt ist, weil es lächerlich ist, weil
man meinen könnte, es sei ein Scherz: Los, tun wir was Verrücktes! Weil sich
schwer eine Erklärung finden

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