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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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enthüllt, was ich hatte
verbergen wollen. Ich hatte in meiner Verbitterung die Antwort auf den
heutigen Tag gegeben. Ich hatte mich selbst und die beiden in eine peinliche
Lage gebracht.
    Hafiz Muhamed blickte verwundert,
beinahe entsetzt auf mich. Hasan sah mich mit einem verwirrten Lächeln an, und
ich las erst in ihren Augen die ganze Schwere meiner Worte, über die ich vorher
nicht nachgedacht hatte. Das Gewissen aber tadelte mich nicht, mir war sogar
leichter.
    Hasans Gesichtsausdruck wurde
unerwartet nachdenklich. „Nein", sagte er, und bewegte langsam
verneinend den Kopf – er entschuldigte sich gleichsam, daß
er ernsthaft sprach. „Der Mensch soll sich nicht in sein Gegenteil verwandeln. Alles, was an
ihm Wert hat, ist verwundbar. Mag sein, es ist nicht leicht, auf der
Welt zu leben, aber wenn wir meinen, hier wäre nicht unser Platz, wird es noch
schlimmer. Sich blinde Kraft und Empfindungslosigkeit wünschen, das
hieße um einer Enttäuschung willen Rache an sich selbst nehmen. Schließlich ist
das kein Ausweg. Es ist der Verzicht auf alles, was der Mensch sein kann. Die
Leugnung aller Bedenken und Rücksichten entspringt uralter Furcht, ist seit eh
und je das Wesen eines Menschen, der Macht wünscht, weil er sich
fürchtet."
    „Hier sind wir, hier auf der
Erde", sprach Hafiz Muhamed aufgeregt. „Verneinen, daß dies der Ort für
uns ist, heißt das Leben verneinen. Denn ..."
    Er hustete, aber da es ihm nicht
gelang, die aufgebrochene Krankheit zu beschwichtigen, fuchtelte er weiter mit
der Hand, zum Zeichen, daß er nicht mit mir übereinstimme.
    „Du gingest besser hinein",
riet ihm Hasan. „Es ist kalt, feucht. Soll ich dir helfen?"
    Er winkte ab: es sei nicht nötig.
Und er ging hustend fort – er hatte nicht gern Zeugen seiner Krankheit.
    Wir blieben allein, Hasan und ich.
    Schade, daß wir uns nicht ohne alle
Erklärungen trennen konnten, ohne jedes weitere Gespräch, am besten wäre es
gewesen, aufzustehen und wegzugehen, schwer war es, das Gespräch
abzubrechen, und ebenso schwer, es fortzusetzen, nun aber fehlte auch Hafiz
Muhamed, der uns Anlaß und Grund für ein allgemeines Gespräch gegeben hatte.
Jetzt stand vor uns, was einzig ihn und mich betraf.
    Für Hasan aber gab es nichts
Peinliches, immer fand er eine Möglichkeit, alles ganz natürlich zu nehmen. Er
richtete den Blick, der noch Hafiz Muhamed gefolgt war, auf mich und lächelte.
Das Lächeln war sein Weg zum Menschen, es drückte Verständnis aus und wirkte
erleichternd.
    „Du hast Hafiz Muhamed erschreckt.
Er sah bestürzt aus."
    „Es tut mir leid."
    „Weißt du, was ich dachte, während
du sprachst? Wie doch manche Menschen alles sagen können, was sie wollen, und
ob du es nun billigst oder nicht, du bleibst dabei doch
ruhig. Andere aber geben mit einem einzigen Wort sich selbst, und mit einemmal
gerät alles in Wallung, keiner bleibt ruhig. Wir fühlen, daß etwas
Wichtiges geschieht. Es ist kein Gespräch mehr."
    „Und was
ist es?"
    „Die Bereitschaft, die Zustimmung,
daß alles auf den Scheiterhaufen geworfen werde. Zu sehr hat es dich getroffen,
das Unglück deines Bruders."
    Keinem sonst hätte ich erlaubt, so
mit mir zu sprechen, ich hätte ihn zornig zurückgewiesen, Hasan aber besiegte
mich, indem er genau den Kern meiner Empörung traf, noch mehr freilich gewann
er mich durch die Redlichkeit seiner Absicht, die nicht in den Worten, sondern
im Blick lag, in der tiefen Aufrichtigkeit, dem Verständnis, der Besorgtheit,
in allem, was von ihm ausging, jetzt, da er mich gleichsam zum ersten Male sah
und von einer Seite, die man gewöhnlich verbirgt. Doch wenn ich ihn auch nicht
zurückwies, wollte ich das Gespräch doch abwenden, ich liebte es nicht, wenn
jemand in mir bohrte.
    „Was meintest du mit der uralten
Furcht, die wir aus ferner Vergangenheit mit uns schleppen?"
    „Sehen wir uns denn heute abend zum
erstenmal? Ich möchte, daß wir über deinen Bruder sprechen. Wenn du nichts
dagegen hast."
    Ich hätte ihm sagen können: Es geht
dich nichts an, laß mich in Ruhe, dring nicht in meine verborgenen Kammern ein,
mich quälen Menschen, die Rat geben. Und das wäre das Aufrichtigste gewesen.
Aber ich konnte keine Grobheit ertragen, weder von mir noch von anderen, ich
schämte mich, wenn sie mich übermannte, ich trug es lange nach, wenn sie mich einmal
getroffen hatte. So sagte ich, mich entschuldigend, mein Vater sei heute aus
dem Dorfe zu mir gekommen, und ich sei nicht gerade am heitersten

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