Der Derwisch und der Tod
gelesenen Bücher entnommen hatte, war von Einbildungskraft
belebt, es schillerte vom Feuer seiner einsamen Fiebernächte, da er in den
Wahnbildern der Krankheit die Welt entstehen und zerfallen sah. Es sah nach
Gotteslästerung aus, aber wir hatten uns schon daran gewöhnt, wir
betrachteten ihn gar nicht mehr als richtigen Derwisch, er hatte sich das Recht
erkämpft, frei von Verantwortung zu sein, das schönste und seltenste Recht in
unserem Orden, man hielt auch das, was er zuweilen
sagte, für nicht allzu schädlich, denn es war ziemlich unverständlich.
Es kam mir höchst merkwürdig,
beinahe undenkbar vor, wie ein argloser Gelehrter zu einem weltgewandten
Witzbold,einem gutmütigen Leichtfuß, einstigem Alim [17] und jetzigem Viehtreiber
und Herdenbegleiter, über das Entstehen der Welt sprechen konnte. Als hätte der
Teufel selber sich Mühe gegeben, diese beiden Menschen zusammenzubringen, die
nichts Gemeinsames hatten, und sie in ein Gespräch zu verwickeln, das kein
Mensch erwarten würde.
Dieser junge Mensch überraschte mich
immer von neuem mit etwas Verblüffendem, das nicht zu erklären noch zu
rechtfertigen war. Obschon er klug und gebildet war, trug alles, was er tat,
den Stempel des Absonderlichen, blieb außerhalb dessen, was man hätte vermuten
können.Er hatte die Schule in Stambul besucht, war durch den Orient gewandert,
Muderis an einer Medrese [18] , Beamter an der Hohen Pforte und Offizier gewesen,
hatte dann alles verlassen, aus irgendeinem Grund in Dubrovnik gelebt, war
schließlich mit einem Dubrovniker Kaufmann und dessen Frau zurückgekehrt. Es
hieß, er sei verliebt in die weißhäutige, schwarzhaarige und grauäugige
Lateinerin, die jetzt mit ihrem Mann im Katholikenviertel lebte. Er hatte bei
Gericht gegen einen fernen Verwandten geklagt, der sich seinen Hasans
Besitz angeeignet hatte, und er hatte
die Klage zurückgezogen, als er sah, wie viele Kinder der unglückliche
Verwandte ernähren mußte; er hatte eine Tochter eben dieses fernen Verwandten
geheiratet, man hatte sie ihm aufgedrängt aus Erkenntlichkeit für den Besitz,
doch als er sah, womit er beglückt war, lief er auf und davon, ließ sie alle in
seinem Hause wohnen und begann sich mit Viehhandel zu befassen, reiste nach
Osten und Westen, zum Schrecken der Familie.
Wie er diese vielen Berufe
zusammengebracht hatte und welcher sein eigentlicher sei, das konnte man schwer
sagen. Kein einziger, antwortete er lachend, wenn man ihn fragte, aber von
etwas muß man leben, und letzten Endes ist es gleichgültig. Er war zu
gesprächig für den Dienst an der Hohen Pforte, zu lebendig für einen Muderis,
zu gebildet für einen Viehhändler. Es hieß, man hätte ihn aus Stambul verjagt,
es liefen ebenso viele Gerüchte über seine Redlichkeit um wie über seine
Unredlichkeit, über ungewöhnliche Fähigkeiten wie über völlige Unfähigkeit. Man
nannte ihn mitleidlos, als er die Klage wegen seines Besitzes einreichte, und
einen Narren, als er sie zurückzog; die einen meinten, er sei schamlos, weil er
mit der Frau aus Dubrovnik lebe und deren Ehemann zum Trottel mache, die
anderen meinten, er selbst sei der Trottel, denn die Eheleute aus Dubrovnik
nützten ihn aus. Sie rüttelten ihn durch das feinste Sieb des Stadtgeschwätzes,
als willkommenen Gegenstand für Hunderte neugieriger Vermutungen, besonders am
Anfang, als sie noch nicht daran gewöhnt waren. Ihn aber kümmerte das alles
nicht, es war ihm gleich gültig – wie alles im Leben. Er hielt Freundschaft
mit jedermann, vertiefte sich in Gespräche mit geistlichen Gelehrten, trieb
Handel mit Händlern, trank mit Vagabunden, machte mit bei den Streichen der
Handwerksburschen – als einer, der bei allem, womit er sich beschäftigt,
mitreden kann und doch bei allem nicht recht am Platze ist.
Ich wollte mit ihm nicht über meinen
Bruder sprechen, er hätte sich bekümmert gezeigt, aber nur vorübergehend,
empört, aber nur vorübergehend. Zudem quälte mich das Gespräch, das ich am
Abend vorher mit seiner Schwester geführt hatte. Lieber wäre mir gewesen, er
wäre nicht gekommen.
Zum Glück war er nicht aufdringlich.
Und zum Glück fesselte ihn das Gespräch, das er führte. So würde ich alles
aufschieben können.
Feuchte und Wärme sind die Quellen
des Lebens, sagte Hafiz Muhamed. Aus Fäulnis und Moder entstanden zuerst nach
langer Formung und Wandlung lebendige Wesen – ohne rechte Gestalt, ohne
Glieder, nur Körnchen und Stäbchen, in denen der Lebensfunke glomm,
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