Der Derwisch und der Tod
bewegten
sich im Dunkel ihrer Gesichtslosigkeit, irrten ziellos und zwecklos umher, im
Wasser lebend, zuweilen aufs Festland gehend, sich in den Schlamm zurückziehend.
Jahrtausende vergingen so ...
„Und
Gott?" fragte Hasan.
Das war eine Frage, im Scherz
gestellt und dennoch ernsthaft. Hafiz Muhamed wollte sie nicht hören.
„Jahrtausende vergingen so, die
kleinen ohnmächtigen Wesen wandelten sich, die einen gewöhnten sich ans
Festland, die anderen ans Wasser. Geboren wurden sie taub und blind, ohne Arme,
ohne Beine, nackt und bloß, und alles entstand aus anhaltendem Bedürfnis und
nach vielen Versuchen."
„Und
Gott?"
„Gott hatte
es so gewollt."
Er mußte es sagen, obgleich es nicht
überzeugend klang, aber es ging Hafiz Muhamed mehr darum, durch eine
unangreifbare allgemeine Behauptung eine lästige Störung auszuschließen, als
auf die Herausforderung zu antworten.
Mich
wunderte das Verhalten des einen wie des andern. Hafiz Muhamed leugnete in der
Tat den göttlichen Anteil an der Entstehung der Welt, Hasan wiederum hatte nur
im Scherz darauf aufmerksam gemacht, ohne daß er die Sache zum Ende treiben
oder den Vorteil, den er leicht hätte erlangen können, ausnutzen wollte.
Ich wußte, das waren die etwas
abgewandelten Lehren griechischer Philosophen, vermittelt durch Ibn-Sina in
seinen arabisch geschriebenen Werken. Nach dieser Lehre ist der
Mensch allmählich das geworden, was er heute ist, hat er sich zunehmend der
Natur angepaßt, hat er – das einzige denkende Wesen die Natur
seinem Willen untergeordnet.
Darum ist ihm die Natur kein Geheimnis mehr, der Raum kein unerforschtes Reich, er hat ihn
erobert und beherrscht ihn, hat einen gewaltigen Weg vom Wurm zum Herrn der
Erde zurückgelegt.
„Ein
schlechter Herr", meinte Hasan lächelnd.
Darum bewegte sich auch der Streit,
das ganze Gespräch: daß die Menschen diese Welt schlecht eingerichtet hätten,
wie Hasan behauptete, ohne sich darüber, daß es so sei, zu erhitzen. Hafiz
Muhamed aber widersprach ihm, und um es beweisen, ging er zum Urbeginn der Welt
zurück.
Hundert Einwände hätte man gegen
alles, was Hafiz Muhamed sagte, erheben können, von seiner Deutung des
Ursprungs der Lebewesen, der sich von selbst vollzogen hätte, bis zu der
Behauptung, der Mensch sei der Herr der Erde, beinahe unabhängig vom göttlichen
Willen. Aber als ich mich ins Gespräch mischte, hielt ich ihm nicht diese
Verstöße vor, es schien mir lächerlich, um Dinge zu streiten, die wahrlich
bekannt genug waren. Wichtiger schien mir etwas anderes: War es nicht naiv, zu
glauben, der Mensch sei auf der Erde behaglich untergebracht und hier sei für
ihn die wahre Heimat?
Der Raum ist unser Gefängnis, sagte
ich, dem Echo eigener unbekannter Gedanken lauschend und ganz überraschend
Feuer in das bisherige tote und unnütze Gespräch bringend. Der Raum besitzt
uns. Wir besitzen ihn nur, soweit unser Auge in ihn einzudringen vermag. Er
aber raubt uns die Kräfte, erschreckt, ruft, jagt uns. Wir meinen, er achte
uns, aber wir bedeuten ihm nichts, wir sagen, daß wir ihn mehr und mehr
beherrschen, aber wir nutzen nur seine Gleichgültigkeit aus. Die Erde ist uns
nicht geneigt. Donner und Wogen sind nicht für uns, wir sind in ihnen. Der
Mensch hat keine wahre Heimat, er stiehlt sie sich von den blinden Mächten. Es
ist ein fremdes Nest, Heimstatt könnte die Erde nur einem Ungeheuer sein, das
imstande wäre, kämpfend gegen all die Übel anzugehen, die sie in überreichem
Maße bietet. Oder sie ist niemandem Heimat. Auch nicht uns.
Nicht die Erde machen wir uns zu
eigen, sondern einen Klumpen, auf den wir unseren Fuß setzen, nicht das
Gebirge, sondern sein Bild in unserem Auge, nicht das Meer, sondern seine
geschmeidige Festigkeit und den Abglanz seiner Fläche. Unser ist nichts als
Trug, darum klammern wir uns an ihn.
Wir sind nicht etwas in etwas, sondern
nichts in etwas, nicht gleich mit dem, was uns umgibt, nicht dasselbe,
unvereinbar mit ihm. Die menschliche Entwicklung sollte dazu führen, daß der
Mensch das Bewußtsein seiner selbst verliert. Die Erde ist unbewohnbar wie der
Mond, und wir betrügen uns selbst, indem wir uns einreden, sie sei unsere wahre
Heimat, nur weil uns nichts anderes bleibt. Gut ist die Erde für Unverständige
oder für Unverwundbare. Vielleicht wird es für den Menschen der Ausweg sein,
zurückzukehren, einzig blinde Kraft zu werden.
Als ich aber all diese Unvernunft
ausgesprochen hatte, erschrak ich, denn ich hatte alles
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