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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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nichts weiß. Hatten die Leute
vor mir geschwiegen, hatte man gar zu leise geflüstert, war ich von vornherein
bereit gewesen, es nicht zu glauben, weil es mich, hätte ich es für wahr
genommen, aus dem gewonnenen Frieden herausgerissen und das mühsam geschaffene
Bild von einer ausgeglichenen Welt, die meine Welt war, zerstört hätte. Hatte
ich auch nicht gemeint, sie sei vollkommen, so hatte ich sie doch erträglich
gefunden, wie hätte ich darauf eingehen können, daß sie ungerecht sei? Manch
einer könnte an der Aufrichtigkeit meiner Worte zweifeln und mich fragen: Wie
denn, ein reifer Mann, der so viele Jahre unter den Menschen verbracht hat in
dem Glauben, er stehe ihnen nahe und habe selbst an dem teil, was sie vor
anderen verbergen, der auch nicht dumm ist – er sollte nicht sehen und nicht
bemerken, was um ihn herum geschieht und keineswegs nebensächlich ist? Ist es
Heuchelei? Oder Blindheit? Wäre es keine Sünde, zu schwören, ich würde
felsenfest schwören: Ich habe nichts gewußt. Das Recht betrachtete ich als das
Notwendige, das Unrecht als Möglichkeit. Dies aber war viel zu verwickelt für
meine naive Vorstellung vom Leben, die ich mir in Menschenferne und Gehorsam
geschaffen hatte, es bedurfte vieler schwarzer Phantasie, um in diese wirren
Geflechte von Beziehungen einzudringen, die ich als mühsames und ehrenhaftes,
freilich ziemlich unbestimmtes Ringen um den göttlichen Gedanken aufgefaßt
hatte. Oder hatten mir die Menschen manches vorenthalten, sich davor hütend,
etwas zu sagen, was ich nicht hätte hören mögen? Schwer fiel es, daran zu
glauben. Und auch jetzt, da ich es wirklich hörte, war ich bereit, nicht zu
glauben, wenigstens nicht völlig; dies glauben würde tödliches Entsetzen
bedeuten oder die Notwendigkeit, etwas zu unternehmen, die Worte reichen mir
nicht zu bezeichnen, was mir das Gewissen auferlegt hätte. Ich bekenne ich
schäme mich dessen nicht, die Aufrichtigkeit meiner Gedanken
rechtfertigt mich , daß gerade
Hasans Persönlichkeit die Bedeutung der Nachricht minderte, die ich vernommen
hatte. Er hatte gute Absichten, aber er war oberflächlich, redlich, aber
leichtsinnig, und seine unverantwortliche Einbildungskraft konnte Gott weiß was
für eine Geschichte ersonnen, einigen Körnchen Wahrheit eine ganze Packlast
Willkür hinzugefügt haben. Wie hätte er es auch wissen können, da er doch eben
erst zurückgekehrt war?
    So fragte ich ihn, einen Anker
werfend, an dem ich mich festhalten würde:
    „Woher weißt du das?"
    „Zufällig gehört", antwortete
er ruhig, als habe er die Frage erwartet.
    „Vielleicht ist alles Vermutung,
leeres Gerede?"
    „Weder Vermutung noch leeres
Gerede."
    „Der dir das erzählt hat, hat er
eine solche Stellung, daß er es wissen kann?"
    „Er weiß nur das, was ich dir gesagt
habe."
    „Wer ist es?"
    „Ich darf dir's nicht sagen, es ist
auch nicht wichtig! Von ihm könntest du nur das hören, was du schon gehört
hast. Was brauchst du mehr!"
    „Nichts!"
    „Er war so verängstigt, daß er mir
leid tat."
    „Warum verriet er dir's dann?"
    „Ich weiß nicht. Vielleicht, um die
Last loszuwerden. Damit ihn sein Wissen nicht würgt."
    Ich war von dem, was ich gehört
hatte, so verwirrt, daß es mir einfach nicht gelang, meine Gedanken zu sammeln,
sie flohen wie Vögel vor einer Feuersbrunst, verkrochen sich in finstere Höhlen
wie Felsenhühner. Schrecklich erstand vor mir das Bild des allmächtigen Bösen.
    „Es ist schrecklich", sagte
ich. „So schrecklich, daß ich es kaum glauben kann. Ich wollte, du hättest mir
nichts erzählt."
    „Auch mir wäre es lieber. Jetzt. So
soll es sein, als hätte ich nichts gesagt, wenn du es nicht brauchst."
    „Das ist unmöglich. Die Dinge
bestehen nicht, solang sie nicht benannt sind."
    „Die Dinge können nicht benannt
werden, solang sie nicht bestehen. Die Frage ist nur, ob man sie benennen soll.
Hätte ich gewußt, wie sehr es dich aufregt, vielleicht hätte ich geschwiegen.
Warum hast du Angst vor der Wahrheit?"
    „Was habe ich von ihr?"
    „Ich weiß nicht. Vielleicht ist es
auch nicht die Wahrheit."
    „Zu spät. Jetzt kannst du nicht mehr
zurück. Das Gesagte läßt sich nicht auslöschen. Kenne ich den, der es dir
erzählt hat?"
    Er blickte mich verwundert an.
    „Ich wollte dir helfen. Ich glaubte,
du würdest darüber nachdenken, wie du den Bruder retten könntest, so schnell
wie nur möglich. Aber dir hat sich offenbar nur der arme Kerl eingeprägt, der
gewiß vor Angst nachts

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