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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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mir keinen Ausweg aus der Sorge. „Gib mir
gleich Nachricht, wenn sie ihn freilassen", hatte der Vater beim Abschied
gesagt: „Ich bin erst dann ruhig, wenn ich es weiß. Am besten wäre es, er käme
nach Hause."
    Am besten
wäre es gewesen, er wäre nicht erst fortgegangen.
    „Geh morgen zum Muselim", hatte
er mich ermahnt, damit ich es nicht vergäße, „und danke ihm. Dank ihm auch in
meinem Namen."
    Lieb war mir, daß er fortging,
schwer fiel es mir, ihm ins Gesicht zu sehen, das Trost suchte, da ich doch
den Trost nur durch Lüge geben konnte.
    Er nahm
Trost und Lüge mit, mir blieb ein böses Erinnern. Am Ende eines Feldes waren wir stehengeblieben,
ich hatte ihm die Hand, er hatte mich auf die Stirn geküßt, wieder war er der
Vater gewesen, ich hatte ihm nachgeschaut, er ging gebückt, und
er führte das Pferd so, als müßte es ihm Stütze sein, unablässig wandte er sich
um, mir wurde leichter ums Herz, als wir uns getrennt hatten, und doch war ich
traurig und fühlte mich einsam, jetzt war es endgültig, es konnte keine
Täuschung mehr geben. Begraben hatten wir einander gerade in dem Augenblick,
da wir uns erkannten, nichts hatte uns diese unnütze letzte Wärme helfen
können.
    Ich stand mitten auf dem weiten
Felde, als der Vater aufsaß und hinter einer Felswand verschwand, als hätte ihn
der graue Stein verschlungen.
    Der lange Nachmittagsschatten, die
düstere Seele der Berge, kroch über das Feld, verdunkelte es, ging auch über
mich hinweg, umgab mich von allen Seiten, und der Sonnenrand floh vor ihm, wich
zurück zu einem anderen Berg. Fern war noch die Nacht, dies war nur ihr frühes
Vorzeichen, etwas Unheildrohendes haben solche düsteren Boten. Niemand sonst befand
sich auf dem schattenüberfluteten Feld, leer blieb es nach allen Seiten, einzig
ich stand auf der umkämpften, sich verdunkelnden Weite, klein in dem sich
schließenden Raum, umfangen von trüber Bedrängnis und Ängsten, die meine
uralte Seele, mir fremd und doch eigen, einbrachte. Allein auf dem Felde,
allein auf der Welt, machtlos vor den Geheimnissen der Erde und den Weiten des
Himmels. Und dann klang von einem der Berge, von den Häusern am Hang,
irgendeines Menschen Lied herüber, schuf sich seine Bahn durch den Sonnenraum
des Feldes zu meinem Schatten, als käme es mir zu Hilfe, und befreite mich
wahrhaftig aus kurzer und grundloser Behextheit.
    Ich ging Hasans ungebetener
Aufmerksamkeit nicht aus dem Wege.Er saß mit Hafiz Muhamed in der Laube über
dem Fluß, in einem blauen Mintan [15] , mit gestutztem feinem Bart, die Wangen mit
Duftwasser eingerieben, frisch, lächelnd, abgewaschen hatte er drei Monate des
Umherziehens, den Geruch von Vieh, Schweiß, Herbergen, Staub, Schlamm,
vergessen das Schimpfen und Fluchen, die gefährlichen Übergänge über Gebirge
und Flüsse,er glich jetzt einem jungen Aga [16] , den das Leben verwöhnt hat, indem
es von ihm weder Mühe noch Kühnheit verlangte.
    Ich fand sie im Gespräch. Dieser
Viehhändler und einstige Muderis reizte Hafiz Muhamed, sein Wissen
auszubreiten, damit er ihm widersprechen könne, im Scherz freilich, weder dem,
was er hörte, noch dem, was er erwiderte, große Bedeutung beimessend. Immer
verblüffte es mich, wie er in plänkelnden Gesprächen kluge Gründe vorbrachte,
die er in verrückte Formen kleidete.
    Als wir uns
begrüßt hatten, fragte er mich:
    „Hast du
etwas über deinen Bruder erfahren?"
    „Nein.
Morgen gehe ich wieder hin. Und du, wie ging es dir unterwegs?" So war es
am besten, mochten meine Sorgen mir allein bleiben.
    Er sprach ein paar allgemeine Sätze
über den Weg, den er hinter sich hatte, scherzte darüber, daß er immer vom
Willen Gottes und der Laune des Viehs abhänge und daß er seinen eigenen Willen
und seine Laune ihnen unterordne, dann aber schlug er Hafiz Muhamed vor, in
seiner höchst beachtenswerten und höchst zweifelhaften Darlegung über
Entstehung und Entwicklung der Lebewesen fortzufahren, eine Frage von
Bedeutung, solange es Lebewesen gebe, und ein Anlaß zum Streiten, zumal in
einer Zeit, da es wenig Streit um Meinungen gebe und da wir alle vor Langeweile
beinahe stürben, weil wir in allem übereinstimmten.
    Hafiz Muhamed, der drei Monate lang
geschwiegen oder über die gewöhnlichsten Dinge gesprochen hatte, fuhr in
seiner Deutung des Weltanfangs
fort, einer wunderlichen, unzutreffenden, vom Koran nicht bestätigten Deutung, aber das
fesselnde Bild, das er erstehen ließ, das er Gott weiß welchem der vielen von
ihm

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