Der Derwisch und der Tod
dich störe?"
„Nein, warum? Ich hätte dich
aufgesucht, wenn du nicht gekommen wärst."
„Hast du dich über die Knechte
geärgert?"
„Ja. Ich wollte, daß einer
umkommt."
Darauf sagte ich nichts.
Er lachte: „Eine rechte Antwort nach
Derwisch-Art: Schweigen. Ja, ich bin schief gepflanzt, und ich rede Unsinn.
Entschuldige."
Ich hatte gesagt: Vielleicht ist es
besser, ich gehe; aber ich wünschte, daß er mich zurückhalte, jetzt hätte ich
nicht hinausgehen können, hätte es nicht gewagt, auch am Morgen war ich nicht
grundlos umhergewandert, ich hatte ihn sehen wollen, ich brauchte sein ruhiges
Wort und seine Sicherheit, die vor Drohung schützte und den wilden Sturm um
mich herum besänftigte; so hat der Mensch manchmal den Wunsch, sich an einen
breiten, still fließenden Fluß zu setzen und angesichts der beherrschten Kraft
und des sicheren Strömens Ruhe zu finden. Nun aber hatte ich einen anderen
Menschen gefunden, einen unbekannten, es tat mir leid, mir war es, als hätte
ich etwas verloren, und ich wußte nicht, was zwei so aufgeregte Menschen
beginnen könnten.
Zum Glück verstand er es, sich zu
beherrschen, oder seine heitere Natur konnte den Zorn nicht länger nähren, er
wurde immer mehr zu dem, den ich suchte.
Er führte mich in ein großes Zimmer,
mit Fenstern über die ganze eine Seite hin, eine Himmelshälfte bot sich dem
Blick unverhüllt, mich überraschte die Geräumigkeit dieser Sommerstube, mit
Sitzbänken an den Wänden, schön gemalten Sprüchen aus dem Koran, geschnitzten
Wandschränken, mit vielen Teppichen; ein ganzer verstaubter Reichtum, ein
achtlos behandelter Luxus. Alles wie bei ihm selbst, dachte ich. Ich liebte die
Ordnung, eine strenge Derwisch-Ordnung, jedes Ding muß seinen Platz haben, wie
alles in der Welt, der Mensch muß Ordnung schaffen, damit er nicht wahnsinnig
wird. Seltsamerweise störte mich nicht diese Achtlosigkeit, sie hatte etwas von
der großzügigen Freiheit, mit der manche Menschen die Dinge nutzen, ohne ihnen
zu dienen und ohne sie übermäßig zu achten. Immerhin, ich könnte das nicht.
Er lachte, während er einen Mintan,
Stiefel und eine Waffe wegräumte; er meinte, er habe sich in den Herbergen an
die Unordnung gewöhnt und bemerke sie erst, wenn er mit den Augen eines
andern, eines Gastes, auf sie sehe. Ich aber bin sicher, daß er seit eh und je
so ist, daß es zu seiner Natur gehört, der verantwortungsfreien und unbändigen.
Ich sagte es ihm auch, im Scherz, gerade das sei schön an ihm und gewiß sei er
immer so gewesen. Er ließ den Scherz gelten und meinte lächelnd, ich hätte es genau
getroffen, immer sei er achtlos gewesen, wenn er auch manchmal die Ordnung zu
schätzen wisse, die andere zu schaffen verstehen, selber freilich habe er kein
Bedürfnis nach ihr, er denke nicht mehr darüber nach. Einmal im Leben hätte er
es sogar selbst versucht, sich Mühe gegeben, sich selbst überwunden –
vergebens. Er lebe gleichsam mit den Dingen in Feindschaft oder die Dinge
achteten ihn nicht, sie ließen sich nicht von ihm unterwerfen, er habe keinen
Sinn für Macht, ganz gleich, worüber. Im Grunde fürchte er ein wenig die
Ordnung, Ordnung sei etwas Endgültiges, Festes, ein Gesetz, eine Verringerung
der Zahl möglicher Lebensformen, der trügerische Glaube, daß wir das Leben beherrschten,
das Leben aber entreiße sich uns immer mehr, immer mehr entwische es uns, je
verlangender wir nach ihm greifen.
Es war ganz merkwürdig, wie leicht
dieser Mann, vor wenigen Minuten noch ein grober Viehhändler, in ein Gespräch
sprang, das gar nicht zu seiner heutigen Beschäftigung paßte, ich aber nahm es
mit Befriedigung auf. Ich fragte ihn:
„Wie muß man denn leben? Ohne
Ordnung, ohne Ziel, ohne bewußte Absichten, die wir zu verwirklichen
trachten?"
„Ich weiß nicht. Gut wäre es, wenn
wir Vorsätze fassen, uns ein Ziel setzen und Regeln und Gebote aufstellen
könnten für alles, was lebt, um eine durchdachte Ordnung
einzuführen. Leicht ist es, allgemeine Vorschriften zu ersinnen, indem man
über die Köpfe der Menschen hinwegblickt, zum Himmel und in die Ewigkeit.
Versuch aber, sie auf lebendige Menschen anzuwenden, die du kennst und
vielleicht liebst – versuch es zu tun, ohne sie zu kränken. Schwerlich wird dir
das gelingen."
„Regelt der Koran nicht alle
Beziehungen unter den Menschen. Das Wesen dieser Gebote können wir auf jeden
einzelnen Fall anwenden."
„Meinst du? Dann löse mir dieses
Rätsel. Es ist keine seltene, ausgefallene
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