Der Derwisch und der Tod
Verbote helfen
nichts. Sie führen zu Heuchelei und geistiger Verkrüppelung."
„Was sollen wir also tun?"
„Ich weiß nicht."
Er lächelte, als wäre es ihm lieb,
nichts zu wissen.
Die Frau trat ein, sie brachte
Šerbet.
Ich hatte schon Angst, Hasan würde
ein Gespräch mit ihr beginnen, allzu offen war er, allzu rasch gab er seinen
Gedanken und Entschlüssen nach. Glücklicherweise und wunderbarerweise aber
sagte er nichts, er blickte sie an mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln, das
gar nicht boshaft war, eher ein gewisses nachsichtiges Wohlwollen verriet, so
wie man ein liebes Geschöpf oder ein Kind anblickt.
„Du siehst sie an, als stündest du
auf ihrer Seite", sagte ich, als sie hinausgegangen war.
„Ja, ich stehe auf ihrer Seite. Die
Frau ist immer interessant, wenn sie verliebt ist, sie ist dann klüger,
entschlossener, anmutiger als sonst. Der Mann ist zerfahren oder grob oder
unbedacht oder weinerlich weich gestimmt. Aber ich stehe auch auf der Seite
der Männer, der beiden. Der Teufel soll sie holen!"
Ich bedauerte ihn in diesem
Augenblick und beneidete ihn zugleich. Nicht so sehr freilich –. weder das
eine noch das andere. Ich bedauerte ihn, weil er willentlich in sich selbst
eine gerundete und sichere Denkweise zerstörte, mit der er dem Glauben dienen
konnte, und ich beneidete ihn um etwas, was ich nur ahnte und was wohl Freiheit
war. Keine Freiheit, wie ich sie meinte, eher das Gegenteil, und doch bedeutete
sie leichteres Atmen.
Und so dachte ich um seinetwillen,
machte ihm Zugeständnisse, denn ich konnte es mir nicht verhehlen, lieb war es
mir, daß ich ihn sah, lieb war mir sein leichtes, durchsichtiges Lächeln, das
wie von selbst aufblühte, lieb war mir sein von Winden gegerbtes Gesicht, in
dem blaue Augen blitzten, angenehm war mir die Heiterkeit, die ihn wie Licht umgab,
vielleicht sogar der Leichtsinn, der frei ist von Pflicht und Bindung.
Ungewöhnlich gekleidet, in blauen Hosen und hellbraunen Stiefeln aus
Ziegenleder, im weißen Hemd mit weiten Ärmeln, eine Tscherkessenmütze auf dem
Kopf, sauber gewaschen wie ein Kieselstein, breitschultrig, mit kräftiger
Brust, die sich von gesunder Bräune im Dreieck des Hemdausschnittes zeigte – so
glich er einem Ha j dukenhauptmann, wenn er sich bei einem Bauern, einem
zuverlässigen Helfer, ausruht, einem fröhlichen Strauchdieb, der weder sich
noch andere fürchtet, einem Hirsch, einem blühenden Baum, dem unbändigen Wind.
Umsonst versuchte ich, ihn anders zu sehen, ihn in Gedanken an seinen Anfang
zurückzuführen. Und ich übertrieb, indem ich ihn mir selbst gegenüberstellte.
Früher einmal war er dasselbe wie
ich gewesen – oder etwas mir Ähnliches. Etwas war dann geschehen, früher,
damals, das hatte seinen Lebensweg und ihn selbst verändert. Ich stellte mir
den Scheich Ahmed Nurudin solcherart verwandelt vor – wie er Landstraßen
entlang reitet, in Herbergen seine Späße treibt, wilde Pferde zähmt, flucht,
über Frauen redet, und es gelang mir nicht, den Gedanken zu verfolgen, es
schien mir lächerlich, unmöglich, ich hätte ein zweites Mal geboren werden
müssen und nichts von dem erfahren dürfen, was ich jetzt wußte. Mich überkam
der Wunsch, ihn zu fragen, vielleicht weil auch ich eine Veränderung in mir
ahnte, freilich eine ganz andere, ich ahnte und fürchtete sie, doch ich wußte
nicht, wie ich es anfangen sollte, es wäre ganz wunderlich herausgekommen, er
sah doch nicht den Weg meiner Gedanken und die Berechtigung meiner Wißbegier.
Ich versuchte es auf Umwegen:
„Bist du mit deiner Arbeit
zufrieden?"
„Ja."
Dann lachte er und sagte ohne
Umschweife, mir belustigt in die Augen blickend:
„Gib zu, du wolltest etwas anderes
fragen."
„Du errätst fremde Gedanken wie ein
Zauberer."
Er wartete, lächelnd, wischte meine
Hemmungen weg mit der Offenheit und dem heiteren Blick, der Mut macht. Ich
nutzte die günstige Gelegenheit, eine Gelegenheit für mich, eine, wie er sie
immer den anderen bot:
„Früher dachtest du so wie ich oder
ähnlich wie ich, wie wir. Nicht leicht ist es, sich zu verändern, man muß alles
abwerfen, was man gewesen ist, was man gelernt, woran man sich gewöhnt hat. Und
du hast dich verändert, vollkommen. Es ist, als hättest du zum zweitenmal
gehen, zum zweitenmal die ersten Worte sprechen gelernt, von neuem die
einfachsten Gewohnheiten erworben. Dies muß eine höchst ernsthafte Ursache
gehabt haben."
Einen Augenblick lang musterte er
mich mit seltsamer Aufmerksamkeit,
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